Ein Besuch bei der Tauernkönigin steht an. Das Ötztal ist von den unglaublichen Regenmengen in Mitleidenschaft gezogen, Gernot verweilt in Viktring und der Wetterbericht ist für den Süden besser, obschon nicht tadellos. So treffen wir uns am Friedhofsparkplatz in Gmünd in Kärnten, von wo es weiter über Malta und dann nach Westen über eine doch recht lange einspurige Straße zum Gößkarspeicher geht.
Was alles mitnehmen? Vor sechs Jahren habe ich die Tour schon einmal gemacht. Ich kann mich noch allzu gut erinnern, wie ich den Rucksack nach der anstrengenden Tagestour in die Q fallen lassen konnte. Ich hatte fast alles mit, was die Bergsportabteilung so bietet. Auch erinnere ich mich an den Übergang vom Klettersteig aufs Trippkees.
Diesmal wollen wir einiges geschickter machen. Wir haben auf der Gießener Hütte zwei Doppelzimmer gebucht. Sogar Sauna, Whirlpool und Duschen sind angekündigt. Die Hütte ist überaus fein, die Mitarbeiter super nett. Und weil es weder GSM-Abdeckung noch WLAN gibt, geht der Wirt mit jeder Gruppe auf Wunsch die anstehende Tour und den Wetterbericht durch. Die Klimaerwärmung hat meine Tour von vor sechs Jahren so stark verändert, dass wir sie diesmal gegen den Uhrzeigersinn gehen wollen. Das heißt, wir wollen über den Rudolstädter Weg aufsteigen und über den Detmolder Grat wieder runter. Der Wirt bestätigt diese Option als vernünftige Wahl, die Tourenführer werden diese Richtung ab nächstem Jahr ohnedies vorschlagen. Vom Trippkees ist nicht mehr viel über. Mit Übung werden wir es laut ihm ohne Seil und ohne Steigeisen schaffen. In meiner Erinnerung ist es mulmig. Nein, das steile Eisfeld will ich weder ohne Steigeisen noch ohne Seil rauf oder runter. Auch der Einstieg in den Klettersteig am Detmolder Grat wurde verlegt. Das Seil, an dem ich mich noch hochziehen musste, ist Vergangenheit. Ein solider Klettersteig ist gebaut, in die Nähe des Gletschers kommt man nicht mehr. So weit die vorbereitenden Worte des Wirtes.
Wir starten kurz nach sieben mit Seil und Steigeisen in den Rucksäcken. Das macht sie recht schwer. Die Kamera habe ich mit, das Seil schleppt Gernot. Recht kurzweilig geht es bei Kaiserwetter über den Rudolstädter Weg zum Trippkees. Wir fotografieren, lachen, scherzen und haben definitiv eine gute Zeit. Das Trippkees schockiert mich dann ein wenig. Nicht, weil es so wild, sondern so wenig ist. Das Eis hat sich weitgehend zurückgezogen. Zwanzig Höhenmeter mit tadellosem Sommerfirn sind zu bewältigen. Das verlangt weder nach Steigeisen noch nach Seil. Dafür ist die Felswand länger. Aber das sollte alles gehen.
Im untersten Teil kann man sich entweder an Seilen über den glatten Fels hochziehen oder in Aufstiegsrichtung gesehen rechts herum über geschätzt 30 bis 35 Grad steilen Firn wandern. Das Seil ist mehr Show, die Wanderung entspannter. Wir mischen beides – siehe Fotos. Vom Einstieg des Klettersteigs trennen uns irgendwann noch vier, fünf Meter steile Felswand. Alte Seile hängen herunter. An diesen muss man sich nun „hinaufhangeln“. Das erfordert Kraft. Alternativ gibt es wieder eine „Umgehung“ in der Wand, aber die ist gar schmal.
So schicke ich Renate am Seil nach oben. Weil ich nicht will, dass sie mir entgegenkommt, gebe ich ihr eine Behelfsseilklemme mit. Ich sehe Knoten bei Beginn des Drahtseils am Klettersteig. Das muss aber gehen. Renate kraxelt die fünf Meter und hängt .. am Knoten. Gernot steigt die Umfahrung auf, ihm gleitet die Klemme nicht fein genug, um auch das Seil zu nehmen. Ich steige hinter Renate her. Bei ihr angelangt, drücke ich ihr die beiden Karabiner ihres Klettersteigsets in die Hand, die sie auch brav in das Drahtseil einhängt. Gut, die ist mal gesichert. Ich vermute, dass sie im Klettersteigset sitzt und es entspannt hat. Leider zieht sie die Behelfsklemme gegen den Knoten, und mir will das Aushängen des Karabiners nicht gelingen, ohne dass die Klemme in die Tiefe stürzt.
So fummle ich da rum. Selbst hänge ich an einem Arm. Die Handschuhe sind im Weg. Der Arm meint, dass er dafür nicht trainiert ist. Ich ziehe mir die Handschuhe aus, die jetzt lose herumbaumeln, aber noch will ich die Klemme nicht aufgeben. Renate jammert, dass sie sich nicht mehr lange halten kann. Was soll denn der Quatsch? Sie sitzt doch gut, bei mir wird es zäh! Gernot sieht aus zwei Meter Entfernung zu und bewahrt professionell die Ruhe. Auch er will ungesichert dort nicht weiter. Irgendwann habe ich dann die Klemme frei und nicht verloren.
Was ist denn da los? Da hat jemand mit blonden Locken vergessen, dass sie eh gesichert ist. Entsprechend hat sich Renate mit einem Arm am Stahlseil festgeklammert. Ihr linker Fuß wollte keinen Halt finden. So war ihre Situation zwanglos unkomfortabel. Mein linker Unterarm zeigt sich wenig zufrieden. Und da ist noch Gernot. Der hat mit aller Geduld und professioneller Unaufgeregtheit ausgeharrt und fragt nun mit britischer Gelassenheit, ob ich ihm das zweite, herunterhängende Seil reichen kann. Das würde seinen weiteren Aufstieg ermöglichen, einen Sturz vermeiden und unsere Tour dem Erfolg näherbringen. Aber sicher, my dear! So balanciert Gernot auf dem sieben Zentimeter breiten Felsband an der überaus steilen Felswand entlang. Wenn ihn diese abdrängt, dann fällt er nicht weit. Er würde mit Schwung pendeln und mich in die Sicherung wuchten. Nur darauf habe ich gar keine Lust. Alles halb so wild, denn es geht wie fast immer gut!
So stehen wir zu dritt im Klettersteig und der ist wirklich steil. Technisch ist er nicht schwer. Nur die Steilheit führt dazu, dass wir uns wie die Bergziegen an einer Staumauer an die Wand drängen. Wir sind nicht ganz so geschickt wie die Ziegen, aber dafür gesichert.
Die Steinernen Mandln sind bald erreicht. Nun geht es den Grat entlang Richtung Gipfel. Der erste Teil ist noch mit Stahlseilen gesichert. Alles keine Schwierigkeit oder Ausgesetztheit. Landschaftlich ist es traumhaft schön. Nebel steigt ein bisserl dramatisch auf. Neuschnee liegt noch da, sieht auch schön aus. Der Grat ist wenig überraschend länger als gedacht. Nach der Aufregung in der Wand machen sich da Motivationslücken breit. Da hilft nur eines – Weitergehen. Und da ist er schon der Gipfelaufschwung. Nochmals wird gekraxelt, teils mit Stahlseilen gesichert und schon stehen wir am Gipfel. Aber just jetzt hat es zugezogen. Schade! Aber ist das schon die angekündigte Veränderung für den Nachmittag? So bleiben wir nur kurz. Nach einigen Fotos und ein paar Schnitten machen wir uns auf den Weg.
Runter geht’s den Detmolder Grat. Das ist ein Klettersteig und der ist deutlich länger als jener vom Trippkees rauf. Die Sonne hat den neuen Schnee und das Eis weitgehend entfernt. Fein ist das! Ach, die Sonne ist wieder da. Aber zurück auf den Gipfel will nun auch keiner mehr. So steigen wir den Klettersteig ab. Wir steigen und steigen, verlieren aber keine Höhe.
Technisch ist der Steig manchmal spannend. So denke ich mir ein paar Mal, wie man da im Aufstieg raufkommen soll. Gelegentlich muss man sich ganz schön strecken. Aber was soll’s? Wir machen weiter und erreichen irgendwann den letzten Teil. Schon wie vor sechs Jahren geht es direkt am Seil über die abgeschliffenen Felsen runter bzw. damals rauf. Aber die elastischen, alten Bergseile sind durch gut verankerte Stahlseile ersetzt. Das macht die Sache wesentlich leichter. Geschafft, schon etwas müde und noch immer deutlich über 3.000m haben wir den Klettersteig geschafft. Na servas!
Jetzt kommt der mühsame Teil der Tour. Über endlos Blockwerk geht es zur Winkelscharte (2.860m). Hier treffen wir zwei junge Bergsteiger, die noch auf die Hochalmspitze und dann weiter zu irgendeiner Hütte wollen. Viel Spaß! Ich lasse das mal aus. Mir reicht der Abstieg zur Gießener Hütte. Und der ist zäh. Blockwerk, das nicht enden will. Dafür ist das Trinkwasser längst aus. Mühsal macht sich breit. Aber dann kommt das erste Bächlein, wir füllen die Wasserdepots auf und schon ist uns wieder ein bisserl Leben eingehaucht. Ein bisserl und sicher nicht mehr!
Die Zwischenräume im Blockwerk werden mit jedem Meter Höhe, die wir verlieren, mehr durch Gras und Erde aufgefüllt. Irgendwann geht es fast entspannt auf Wanderwegen zur Gießener Hütte. Kulinarisch hat sich eine neue Hirschvariante auf die Speisekarte verirrt. Wir konsumieren fleißig, ehe wir die verbleibenden sechshundert Höhenmeter zum Auto absteigen.
Eine lange, anstrengende, abwechslungsreiche und letztlich fantastische Tour geht zu Ende. Ob die Hochtourensaison damit auch zu Ende ist? Für heute und die kommenden Tage auf jeden Fall. Aber schauen wir einmal, wie es in ein, zwei Wochen aussieht.
Garmin
Zustieg Gießener Hütte vom Gößkarspeicher
Rudolstädter Weg – Hochalmspitze – Detmolder Grat – Gießener Hütte – Gößkarspeicher