Ötztaler Alpen

Von langer Hand geplant geht es für die Zeit vom 24. bis 29. Juli in die Ötztaler Alpen. Das Wetter passt und wir schaffen einiges:


Wildes Mannle (3.023m)
Wildspitze (3.768m) und Hinterer Brochkogel (3.623m)
Vorderer Brochkogel (3.565m)
Similaun (3.599m)


Die Hütten sind längst reserviert. Zwei Nächte auf der Breslauer Hütte, eine Nacht in Vent und zwei Nächte auf der Similaunhütte sind die Eckpfeiler. Hütten muss man sehr früh buchen, den Rest planen wir kurzfristig. Also, eigentlich plant Gernot in bester IBM-Qualität die Logistik. Wir reisen mit dem Zug an und reservieren ein Auto bei Rail & Drive. Damit klappt die Anreise super entspannt.

Der Klimawandel und der schneearme Winter werfen unsere Pläne über den Haufen. Auf den Gletschern ist kaum noch Schnee, der angenehme Firn ist schon seit Mitte Juli weg, Blankeis dominiert. Auf dem flachen Gletscher ist das noch angenehm, weil keine tückischen Schneebrücken lauern, aber ab einer gewissen Neigung muss man in den Fels ausweichen oder auf den Zacken kämpfen. All das unter stetem Steinschlag bei schlechter Routenwahl. Das ist wenig einladend. Aber der Reihe nach.

Wildes Mannle

Wir parken unseren schicken Golf beim Hotel Venter Bergwelt. Das dürfen wir, zumal wir ja in ein paar Tagen einchecken werden. Angesichts der Tatsachen, dass wir in der Woche viel vorhaben und ich auch schwach trainiert bin, entscheiden wir uns ohne jede Diskussion für die Nutzung des Sessellifts. In zwei Sektionen bringt uns dieser auf ~2.600m. Schon am Beginn der ersten Sektion verliere ich mein Ticket für Berg- und Talfahrt. Fängt ja gut an – grrr! Der eigentliche Plan sagt, dass wir die schweren Rucksäcke zur Breslauer Hütte bringen und dann einen Ausflug zum Wilden Mannle machen. Stattdessen entscheiden wir bei der Bergstation, besser gleich das Wilde Mannle mitzunehmen. Wir kennen uns zu gut. Einmal auf der Hütte, könnten wir den Apfelstrudel dem Wilden Mannle vorziehen.

In der Nachmittagssonne schleppen wir also die schweren Rucksäcke auf den ersten Dreitausender, überschreiten diesen und steigen Richtung Breslauer Hütte ab. Am Nachmittag sind die Gletscherbäche mächtig angeschwollen und wir verbringen einige Zeit mit der Suche nach passenden Stellen zur Überquerung der Bäche. Man könnte ja die Schuhe ausziehen und.. Aber wir verwerfen diese Idee lieber und steigen die Bachläufe bis zu geeigneten Stellen auf. So kommen wir trockenen Fußes gut bei der Hütte an.

Bei der Zimmereinteilung haben wir Glück. Wir teilen uns ein Zweierzimmer. Das ist zwar winzig, aber definitiv gehobene Klasse hier heroben. Die Hüttenwirtin meint, sie hätte sich geirrt und will uns vertreiben, aber da haben wir uns schon fest gekrallt. No way!

Wildspitze und Hinterer Brochkogel

Schon daheim hat mir die Möglichkeit, dass der fehlende Firn die Besteigung des Hinteren Brochkogels kompliziert machen könnte, Sorgen bereitet. Die Tourenberichte schreiben, dass man bei Blankeis in den Fels ausweichen muss. Die Klimaerwärmung hat den Permafrost aufgeweicht und so hängen die Platten recht locker in den Wänden. Wenn man dann nicht weiß, wo man denn am besten klettert, kann mir das schnell ein bisserl zu heikel werden. So haben wir einen Bergführer engagiert, der uns über Mitterkarjoch auf den Hinteren Brochkogel führen soll.

Kilian, Chef der Bergführerstelle Vent, bestätigt meine Sorgen und schließt kategorisch die Begehung des Mitterkarjochs aus. Damit fällt auch der Hintere Brochkogel. Stattdessen bietet Kilian die Wildspitze über den Rofenkarferner an. Nein, auch der Jubiläumsgrat ist für uns nicht begehbar. Es sei denn, wir sind bereit, uns in einigen Seillängen das 50° steile Blankeis „hinaufzuschrauben“. Aber er kenne einen steinschlagfreien Weg, den er uns führen kann. Aus und basta! Wir buchen. Am Telefon in Breitenfurt vermute ich noch gewisse Geschäftemacherei, aber bei Anblick der grauen, schmutzigen Gletscher bin ich schnell einsichtig. Nun ist die Wildspitze vermutlich das einzig spannende Ziel von er Breslauer Hütte aus.

So holt uns am Montag um 5:45 Kilian persönlich bei der Breslauer Hütte ab. Markant sind sein Norweger Pulli und sein Baseballkapperl. Gleich zu Beginn lässt er uns wissen, dass wir gerne auch schneller gehen können. Tun wir nicht, wir starten schön langsam. Wir rechnen mit einer kurzen Tour, sodass wir zu Mittag wieder bei einem Schnitzerl auf der Hütte sitzen.

Es geht über den Rofenkarferner in erträglicher Steigung hinauf. Nein, da brauchen wir noch nicht ans Seil, wir fühlen uns wohl. Ich erlaube mir einen Sturz, allerdings in flachem Gelände. Na, das läuft ja. Auf 3.500m kommen wir dann ans Seil, wir nehmen einen Teil des Jubiläumsgrates mit, umgehen aber das meiste im Fels. Diese Umgehung ist nicht jedes Jahr möglich und hängt stark von den Verhältnissen ab. Bald sind wir am Nordgipfel und kurz danach auf der Wildspitze.

Das angebotene Gipfelstamperl lehnen wir beide dankend ab. Aber Kilians zweites Angebot ist sehr wohl verlockend und spannend. Er fragt uns nach den weiteren Plänen. Wie jetzt? Was jetzt? Na, ob wir noch auf den Hinteren Brochkogel wollen! Ja, aber das geht doch nicht. Geht doch, aber kein Abstieg übers Mitterkarjoch. Stattdessen wieder in zahlreichen An- und Abstiegen über den Rofenkarferner zurück. So etwas geht in dieser Spontanität nur mit Bergführer. Wir überlegen. Statt zweieinhalb Stunden bis zum Mittagsschnitzerl wird es wohl bestenfalls eine späte Jause, wenn nicht gar nur ein Abendessen. Wir zögern, stimmen aber dann doch zu. Das Wetter ist edel und soll sich am morgigen Tag ändern.

So überschreiten wir die Wildspitze und verlassen beim Mitterkarjoch wieder den Trampelpfad, um auf den Hinteren Brochkogel zu steigen. Kilian kennt den besten Einstieg in die leichte Kletterei. Selbst hätten wir das nie gefunden. Beim Materialdepot rutscht mir der Pickel aus der Hand, bleibt aber zum Glück an einem Stein im Eis hängen. Mann oh, in was für einer Verfassung bin ich! Ein weiteres, starkes Argument für einen Bergführer.

Kilian klettert vor, wir folgen. Die Kraxelei ist technisch nicht schwer. irgendwo um die II+. Aber man muss das Gelände kennen, denn Markierungen gibt es nicht. Ohne Kenntnis des Geländes kann es auch leicht technisch schwerer oder eben recht brüchig werden. Das wäre nichts für uns. So hängen wir sicher am Seil, alles fein. Bis zu dem nicht sonderlich ausgeprägten Kar, in das man normalerweise vom Firn einsteigt, ist es dann eine leichte Blockkraxelei am Grat, danach dann eigentlich „Gehgelände“ über den restlichen Grat zum Gipfel. Der Hintere Brochkogel ist der sechsthöchste Berg Österreichs, aber kein Gipfelkreuz ziert den höchsten Punkt. Der Ausblick ist dafür fein. Die Wildspitze baut sich nicht allzu weit mächtig auf. Sehr fein, sehr edel!

Beim Abklettern erfreue ich mich der Tatsache, dass wir einerseits gesichert sind und anderseits, dass Kilian von oben die Route vorgibt. Ui, jui, da bin ich froh, dass wir nicht zu zweit unterwegs sind. Beim Materialdepot bergen wir noch meinen Pickel, ehe wir den langen Rückweg Richtung Breslauer Hütte antreten.

Erst geht es über den Taschachferner wieder am Mitterkarjoch vorbei – Oh, wie verlockend abkürzend wäre diese Variante! -, den Taschachferner Richtung Wildspitze hinauf. Die Mittagssonne brennt runter, aber es geht noch. Nach der Spaltenzone queren wir frei über den Gletscher zu einem Geröllhaufen. Dabei brechen Kilian, Gernot und letztlich noch ich in ein und dieselbe Gletscherspalte ein. Also, jedes Mal ist es nur ein Einbrechen mit einem Bein bis zur Hüfte. Aber man erkennt doch, dass es darunter tief und dunkel ist.

Auch der Geröllhaufen mit seinen sechzig Höhenmetern wird erledigt. Auf der anderen Seite treffen wir auf den Abstieg vom Nordgipfel der Wildspitze, es geht steil bergab. Kilian dreht eine Eisschraube in den Gletscher. Wir steigen gesichert ab, soweit das Seil reicht. Warten ist nun angesagt. So stehen wir da im steilen Hang und schauen Kilian zu, wie er das steile Eis frei absteigt. Gut, das ist sein täglicher Job. Wenn er stolpert, folgen wir ihm mit kurzer Verzögerung. Aber Kilian stolpert nicht, so schaut’s aus.

Nördlich und damit unterhalb des Jubiläumsgrates geht es nun durch eindrucksvolle Gletscherwelt ein letztes Mal bergauf in jene Scharte, über die wir in den Rofenkarferner einsteigen können. Der Tag ist schon lang, ich trotte am Seilende hinten nach. Alles gut! Wenn schon die körperliche Verfassung durch Covid und Namibia am Boden ist, so sagt die Erfahrung: „Lächeln, weitergehen, es wird enden!“. Das tut es auch. Wir steigen noch den Rofenkarferner ab, gehen ihn bis zu seinem Ende, ehe wir in den Fels wechseln. Offenkundig ist, dass auch Kilian der Tag schon ein bisserl lange ist. Ihm sind wir wohl ein bisserl zu langsam, wenngleich wir eigentlich ganz gut in der Zeit liegen. Wie auch immer, Kilian gönnt sich noch zwei Radler auf der Hütte, ehe er uns bei unserem Kaiserschmarren alleine lässt, und richtig Tal läuft. Endlich darf er sein Tempo wählen.

Was für eine Tour, was für ein Tag! Um halbneun liegen wir im Bett und schlafen ein. Schauen ma a mal!

Am nächsten Tag befragen wir noch einige Bergsteiger, die am Vortag über den Normalweg, also über den Mitterkarferner zum Mitterkarjoch und weiter zur Wildspitze aufgestiegen sind. Die Antworten haben all denselben Ton. Es ist ein Fluchen und das ist in solch einer Einhelligkeit selten in den Bergen. Ein Bergführer und damit die Route „hintherum“ war somit goldrichtig.

Vorderer Brochkogel

In der Nacht hat es geregnet, die Kühe haben uns mit ihren Glocken genauso wenig vom Schlaf abhalten können wie die besoffenen Nachteulen oder die Fünfuhraufsteher. Wir nehmen das zweite Frühstück (es gibt eines um 05:30 für die Wildspitzler und eines um 07:30 für die Hüttenwanderer). Um neun Uhr fühlen wir uns erstaunlich fit. Unsere einzigen Aufgaben sind der Abstieg nach Vent und das Abholen der E-Bikes in Sölden. Der Wetterbericht verspricht Besserung. Spontan entscheiden wir uns für den Vorderen Brochkogel, immerhin neunthöchster Berg Österreichs. Wir packen die Regenjacken ein und brechen auf. Kein Eis und Schnee, da darf die schwere Ausrüstung bei der Hütte warten.

Der Aufstieg ist nicht sonderlich herausfordernd. Zuerst geht es ein bisserl bergab, ehe man stetig den Vorderen Brochkogel hinaufsteigt. Gelegentlich ist ein bisserl eine Kraxelei dabei. Ein paar Meter erinnern, wieder sei der Klimaerwärmung Dank, eher an die Besteigung einer Sanddüne. Irre, wie sich die Bedingungen im Gebirge ändern.

Bald stehen wir beim ersten Gipfelkreuz. Damit sind wir nicht ganz oben. In hundert Metern Entfernung steht ein weiteres, kleineres Kreuz. Dort ist der höchste Punkt, aber den trennt laut Kilian ein wahnsinnig ausgesetzter Grat. Wenn es Kilian sagt, dann werden wir das Schicksal nicht fordern und die Besteigung also hier enden lassen. Auch recht. Wir teilen das Schicksal vieler Weltklasse Bergsteiger, die an der Annapurna am „Vorgipfel“ umgedreht haben. Blöder Vergleich – das gebe ich schon zu!

Wir steigen ab, fühlen uns erstaunlich fit, füllen unsere Depots mit Schnitzerl und fahren mit dem Sessellift nach Vent. Die Zimmer sind erfreulich groß, die Betten schon recht einladend. Wir müssen noch die E-Bikes aus Sölden holen. Den Plan, das Auto in Sölden zu parken und mit den Rädern wieder nach Vent rauf zu strampeln, lassen wir fallen. Der Golf muss zwei Räder schlucken. Schafft der Kombi.

Am Abend sitzen wir bei einem Glas Wein im Alt Vent und überlegen, was wir noch vorhaben und was wir noch schaffen können. Am Menü stehen Similaun, Finailspitze und eventuell Hintere Schwärze. Dafür haben wir die Similaunhütte gebucht. Doch so richtig will das nicht zusammenpassen. Vor allem ist das Hotelleben unvergleichbar angenehmer als das Hüttenleben. Nun haben wir die E-Bikes. Was tun? Wir lassen die Anzahlung auf der Similaunhütte verfallen und verlängern stattdessen im Hotel. Das klingt nach einem Plan.

Similaun über Marzellkamm

Wir starten um sechs Uhr mit den E-Bikes Richtung Martin-Busch-Hütte. Das sind acht Kilometer in eine Richtung, die wir nicht wandern müssen. Was sind wir froh. Selbst mit dem E-Bike sind wir 45 Minuten unterwegs und kommen damit pünktlich zum Frühstück, das allerdings die Anstrengung nicht wirklich wert ist. Wir parken die Räder und steigen nach kurzer Stärkung Richtung Marzellkamm auf.

Am Kamm geben tiefe Wolken und Nebel immer wieder Blicke auf die Hintere Schwärze und den Marzellferner frei. Uh, das sieht Respekt einflößend aus. Der Gletscher liegt wild zerklüftet und aper vor uns. Das könnte noch gehen, aber oben der Wechsel vom Eis in den Fels. Das ist zu weit weg und damit schwer zu beurteilen. Vielleicht ist es eine Abfolge einfacher Schritte, wenn man mal dort ist. Man weiß es nicht. Einsam und menschenleer ist es hier am Marzellkamm. Dort hinten am Marzellferner wäre es nochmals verlassener. Da verirrt sich heute keiner hin. Die Hintere Schwärze macht ihrem Namen alle Ehre und hat sich noch eine dunkle Wolke aufgesetzt. Sie zeigt uns die kalte Nordwand, in der sich noch Eis gegen die Klimaerwärmung stemmt.

Das Wetter bessert sich und der Ausblick auf den Similaun und die Hintere Schwärze sowie viele weitere Dreitausender sind eine Freude. Wir erreichen das Ende des Kamms und steigen auf den Gletscher ab. Am Niederjochferner kommt mein neues Seil, die Rad Line, zum Einsatz, juchhu! Upps, ist das lang. Wir werfen uns jede Menge Seilreserve über die Schulter, und trotzdem ist Gernot bei gespanntem Seil nur ein Punkt am Horizont. Damit kann fast ausschließen, dass im Falle eines Falles der Seilpartner mit in die Spalte fällt – gut so! Die Alpenvereinskarte sagt: gerade hinauf. Also, das sieht nicht so gut aus. Wir gehen nicht direkt, aber auch nicht im attraktiv scheinenden Bogen. Wer hat denn auch so viel Zeit.

Unsere semidirekte Variante führt uns jedenfalls in spaltenreiches Gelände. Im Zickzack umgehen wir Spalten. Gelegentlich müssen wir drüberspringen, ein anderes Mal ein Stück hinunter auf eine Schneebrücke steigen und auf der anderen Seite wieder aus der Spalte kraxeln. Das geht alles gut, aber kostet Zeit. Soll sein, wir sind ja nicht auf der Flucht. Und irgendwann sind wir draußen aus dem Spaltenlabyrinth und auf der Piste von der Similaunhütte zum Gipfel. Am Übergang zwischen Eis und Fels legen wir die Steigeisen ab und kraxeln ohne nennenswerte Herausforderungen auf den Gipfel. Der Similaun, achthöchster Gipfel Österreichs, ist damit auch erledigt.

Beim Abstieg holen wir eine siebenköpfige Seilschaft mit ihrem Bergführer ein. Während wir noch Seil auspacken und Steigeisen anlegen, startet die Gruppe. Der Bergführer in Jeans dirigiert die Gruppe ganz locker von oben. Aber halt, warum die rechte Spur? Die linke Spur führt doch zur Hütte. Will er direkt zur Martin-Busch-Hütte? Geht er über den Marzellkamm? Wir gehen links. Das geht auch gut so. Während ich den Weg so studiere, legt es mich wieder auf. Selbstzweifel kommen auf. Was ist denn los mit mir? Das kann blöd enden.

Irgendwann weicht der Firn und damit die Spur dem Blankeis. Gletscherwasser bahnt sich in selbst erschlossenen Rinnen den Weg ins Tal. Der Gletscher wird steiler, die erste Spalte tut sich auf. Gernot und ich erkennen auf den Uhren, dass die geplante Route über den Fels führt. Wir entscheiden uns für den Fels und hätten uns die Karte definitiv länger und besser ansehen sollen.

Geröll und weglos ist das, was wir antreffen. Aber es kommt schlimmer. Weiter unten trifft die Route wieder erneut auf Eis. Das liegt aber unter losem Schotter. Wir legen die Steigeisen wieder an, Spaß ist das keiner. Weit unten sehen wir die siebenköpfige Gruppe am Ende des Gletschers, wie sie sich bereitmacht, um zur Similaunhütte wieder aufzusteigen. Wir verlieren eine gute Stunde in dieser nicht ganz ungefährlichen Mühsal. Ärgerlich! Hätten wir ein bisserl länger auf die Karte geschaut, so hätten wir gesehen, dass eine Alternative über den Gletscher führt. Jetzt bei Niederschrift verstehe ich gar nicht mehr, was uns da in die Felsen getrieben hat. Ist halt so! Ist ja gut ausgegangen, wir kommen auch irgendwann zur Similaunhütte zur herzlichen Hüttenwirtin, die uns mit gutem, italienischem Essen und endlich wieder feinem Kaffee verwöhnt.

Jetzt bleibt noch der Abstieg zur Martin-Busch-Hütte. Wieder schlägt die Planung irgendeine Idiotie vor, aber wir schlagen einen direkten Kurs ein. Der Klimawandel erlaubt das, denn Gletscher ist hier längst keiner mehr. In der Ferne sehen wir jemand, der sein Motorrad hinter einem Fels hervorholt. Geht’s noch? Kapperl und Pullover kennen wir doch. Wir schildern unseren Irrtum und ernten ein: „Jo, durt geht schon seit Johren keiner mehr. Das geht schon lange nimma!“. Geht doch, aber ist echt mies.

Mann, das zieht sich bis zur Martin-Busch-Hütte, Der Regen holt uns ein. Ich lege die neue Regenhose an und wundere mich, dass sie doch nicht so gut passt wie im Geschäft. Siehe da, ich habe sie verkehrt rum an. Bedenklich, überaus bedenklich. Ich werde mich konzentrieren müssen, sodass ich noch heil ins Hotel komme.

Die Uhr sagt eine Ankunftszeit in Vent von 19:45 voraus. Aber bei der Martin-Busch-Hütte warten die Räder. Was für ein Segen! Wir lassen es laufen, triumphieren leise über die zermürbten und neidischen Fußgänger, die uns entgegenkommen. Um 18 Uhr, nach zwölf Stunden sind wir wieder in Vent im Hotel. Es wird immer gewisser, dass wir am morgigen Donnerstag nicht noch einmal so eine Tour schaffen. Die Hintere Schwärze bleibt damit von uns unbestiegen. Gernot, der deutlich fitter ist als sonst, erwägt noch die Fineilspitze. Aber die ist nicht einmal unter den Top 10.

Rettenbachferner per E-Bike

Am Morgen gibt es um 7 Uhr Frühstück und neue Pläne. Wir fahren mit den Rädern zum Tiefenbachferner und gondeln dort auf die umliegenden Dreitausender. Der Summer Card fürs Ötztal sei Dank! Die Fahrt ist ein Spaß. Nach Vent geht es fast nur bergab, das ist eine feine Sache. Aber noch lustiger ist die Fahrt von Vent zu den Gletschern. Jede Menge Rennradfahrer und Moutainbiker stellen sich der 14 Kilometer langen und Elends steilen Herausforderung. Da haben wir es auf unseren E-Bikes fein. Ohne nennenswerten Schweißverlust radeln wir vorbei. Mir ist es ein bisserl unangenehm. Bei den ersten Radfahrern entschuldige ich mich noch. Aber verdirbt man einem Masochisten nicht die Freude, wenn man sich entschuldigt. So schalte ich um, und filme gar die Kolonne der Verdammten beim Überholen. Möge uns nur nicht der Akku ausgehen! Sonst sind wir fällig.

Eigentlich wollten wir zum Tiefenbachferner. Aber den finden wir nicht. Es ist auch eigentlich egal. So fahren wir eben am Rettenbachferner ins Gletscherskigebiet. Aber ans Schifahren ist da nicht zu denken. Ui, ist das traurig und verzweifelt. Große Flächen sind abgedeckt. Dort, wo früher steile Flächen waren, schauen nun die nackten Felsen heraus. Als ich mit meinem Vater als Bub hier war, war hier alles weiß. Es gab auch damals schon Planen zum Schutz der Gletscher. Damals hat der Vater prophezeit, dass die Gletscher eines Tages verschwinden werden. Ich habe es mir nicht so recht vorstellen können, aber heute ist es unleugenbar.

Bei der Rückfahrt nach Vent sehe ich die Abzweigung zur Bergbahn Gaislachkogel. Dort wollten wir auch noch hin. Wie praktisch, da können wir abkürzen. 150 Meter vor der Mittelstation ist Gernots Akku leer und Gernot spürt, wie das so wäre. Ich schiebe am Rucksack an, solange mein Akku noch etwas hergibt. Das sieht so aus, als würde ich mich ziehen lassen. Egal, wir schaffen es zur Mittelstation, wo sich Downhiller bereit machen für die halsbrecherische Abfahrten auf ihren Trails im Wald. Wir machen uns bereit zur Auffahrt auf den nächsten Dreitausender.

Der Gipfel ist leicht über eine Eisenstiege zu erklimmen. Ein James Bond Museum sorgt für Kurzweil hier heroben. Das Beste ist ein Zwei-Hauben-Lokal, das wir natürlich einem Museum vorziehen. Kontrastprogramm halt, feines Essen, geschulte Bedienung. So soll es sein!

Wir wählen mit unseren Rädern die Asphaltstraße. Wir geben die Räder mit glühenden Bremsbelägen und leeren Akkus zurück und springen in den Bus, der uns nach Vent zurückbringt. Am Abend gibt es dann noch echt italienische Pizza im Venter Hotel Wildspitz.

Die Rückfahrt am nächsten Morgen ist völlig entspannt. Damit geht eine überaus erfolgreiche Bergwoche zu Ende. Vier der Top 10 Österreichs haben wir bestiegen. Wären wir jünger, fitter oder was auch immer gewesen, hätten wir noch die Hintere Schwärze mitgenommen. Aber in der Verfassung, in der ich war, bin ich froh, dass alles gut gegangen ist. Die Bilanz kann sich sehen lassen!