Wie sich alles ändert! Früher hätte ich weniger Bedenken gehabt. Auch viel weniger Ausrüstung hatte ich. Nun habe ich viel Auswahl und viele Bedenken. Seit ich mit Garvin den Malersteig gegangen bin und er mir von seinen Winterbegehungen erzählt hat, lässt mich die Idee einer Winterbegehung zumindest des Haidsteigs nicht los. Gernot will lieber den Nandlgrat gehen, lässt sich aber leicht überreden. Und da ist schon das erste Bedenken: „Was, wenn ich ihn überredet habe und er gar nicht wollte?“.
Also, wie wird der Zustieg sein? Liegt viel Schnee im Wald? Geht das überhaupt ohne Schneeschuhe? Nach der Einstiegstelle in den Steig wartet freies Felsgelände. Das ist oft feucht. Wird das voll mit Eis sein? Werden die Seile zumindest abschnittsweise mit Eis überzogen sein? Im großen Kessel könnte viel Schnee liegen und der Abschnitt danach ist bei Feuchte schon unangenehm. Dann noch der Abschnitt nach der Schwarzen Madonna und der Ausstieg…
-14° in der Früh bis -10° auf 2.000m. Da ist nicht nur die Frage nach den richtigen Handschuhen angebracht. Welche Schichten? Welche Hose? Steigeisen, Grödel,..? Pickel, Stöcke,..? Früher hätte ich aufgrund mangelnder Optionen nicht solange nachdenken müssen. Der Anorak wäre mitgekommen. Aber so einfach ist das längst nicht mehr.
Und trotzdem ringen wir uns durch. Wir schleppen fast alles mit. Der Parkplatz ist leer und fast unverspurt. Der Zustieg durch den Wald ist dann wirklich unverspurt. Das heißt, seit Sonntag war noch niemand hier. Ein paar Zentimeter Schnee liegen im Wald. Älterer Schnee ist aufgetaut und festgefroren, da tun die Grödel einen guten Dienst. Den Zustieg werden wir schaffen.
Im Steig sieht es erfreulich schneearm aus. Ich steige den Einstieg rauf, um die erste Sorgenstelle zu inspizieren. Pah, lächerlich, machbar. Das geht leicht mit Grödel und ohne Pickel. Bei sorgfältiger Routenwahl vielleicht gar ohne Grödel. Aber wenn wir sie schon mithaben.
Das Seil ist kalt, aber weder mit Eis überzogen noch unter dem Schnee verschwunden. Wir sind früh im Winter dran. Fix ist, dass seit dem letzten Schneefall niemand den Steig gegangen ist. Das gibt eine feine Stimmung. So steigen wir in top Ausrüstung gemächlich durch den Steig. Kaiserwetter, keine Eile nötig. Auch wenn wir weit von -14° entfernt sind, wird mir langsam kalt, vor allem in den Händen. Wir haben sogar beheizbare Handschuhe mit. Eher peinlich, aber angenehm. Und zum Kraxeln taugen sie auch. Was soll da schiefgehen?
Nächste Überraschung: im großen Kessel liegt wenig Schnee. Wir sind ohne Grödel oder Steigeisen unterwegs und ich mache mich an die nächste Sorgenstelle. Die steile Wand aus dem Kessel ist im trockenen Zustand schon abgeschliffen, im nassen Zustand recht rutschig und jetzt? Beherzt und in Erwartung von Unannehmlichkeiten steige ich ein. Was man erwartet, bekommt man auch. So habe ich mich noch nie am Haidsteig angestellt. Ich lasse mir nichts anmerken und hantle mich wie ein Afferl das Seil hinauf. Kalt ist mir nicht mehr. Hat doch auch etwas Gutes. Gernot ist mit dem Skylotec und ohne Selbstzweifel unterwegs, entsprechend leichter tut er sich. Damit hätten wir die Herausforderungen doch gemeistert!
Bei Kaiserwetter rasten wir bei der Schwarzen Madonna und wünschen Ulli schon Frohe Weihnachten. Was für ein Kulisse! Heute weht kein Lüfterl, fast ein bisserl frühlingshaft, aber nur fast.
Der nächste, ungesicherte Anstieg hat wenig Schnee. Wir sind mit den Grödeln unterwegs. Nach Wiederbeginn der Versicherungen wird es erstmals herausfordernd. Die Sonne hat Schnee oberhalb geschmolzen, das Schmelzwasser ist in den Steig geronnen und überzieht hier im Schatten den Fels im wieder gefrorenen Zustand. Um die Steigeisen anzulegen, gibt es bessere Stellen. So wurschteln wir uns die 20, 30 Meter weiter und wechseln gar auf die Steigeisen. Die sitzen bombenfest, geben aber das Gefühl in Stöckel- oder Plateauschuhen unterwegs zu sein. So stellen wir uns das zumindest vor, Erfahrung ist ja keine da. Also, nicht mit Stöckel- oder Plateauschuhen, aber dafür mit Steigeisen. Ach, was schreibe ich da! Faktum ist, dass uns der einfache Teil des Haidsteigs Schweiß und Anstrengung kostet.
Irgendwann sind wir oben. Meine erste Winterbegehung ist geschafft. Und wieder ist die Erkenntnis da, dass die Bedenken und Sorgen des Vorabends unberechtigt waren. Anderseits, vielleicht führen sie zu sorgsamer Tourenplanung. Jeder hat für sein Handeln eine Erklärung.
Beim Abstieg über den Holzknechtsteig erwartet uns oben ein steiles Schneefeld. Das erfüllt alle Bedingungen für ein Schneebrett. Na ja, der Lawinenlagebericht meint, dass heute kaum etwas passieren kann. Aber Gernot ist eh schon unterwegs und von hinten sieht es auch lustig aus, wie er da runtertorkelt. Als ich dann selbst in der Querung bin, wird es mir etwas mulmig und ich bin konzentriert. Da hätten wir vielleicht doch oben umgehen sollen. Hmm?
Das Auto steht noch immer einsam am Parkplatz. Ein bisserl fühlen wir uns als Helden. Der Moment des Triumphs wehrt kurz und wird durch ein Bergläuferpärchen gestört, das von oben herab an uns vorbeiläuft. Wo kommen die denn her?
An dieses Mal werde ich mich lange erinnern. das ist fix. Erste Winterbegehung bei Wetter, wie man es am 22. Dezember nicht erwarten darf. Auch die Windstille an diesem Tag ist eine extreme Ausnahme. Vielleicht all das, weil Lydia heute ihren 24. Geburtstag feiert. Alles Gute, liebe Lydia! Hoffentlich kippe ich am Abend nicht im Shiki weg.. Super war’s!