Auch heute gibt es Premieren! Gottfried startet ohne Bergschuhe. So ein Ausbruch aus der Routine bringt jedenfalls neue Erkenntnisse.
Wie sooft im November liegt der Nebel hartnäckig über den Niederungen und oben lacht die Sonne. Gernot und ich starten wieder einmal ins Höllental und wollen Neues ausprobieren. Dazu hat Gernot eine Tour von Kaiserbrunn über die Brandschneide zum Ottohaus zusammengestellt.
Am Vorabend zitiert Gernot den Wetterbericht mit 8° in der Höhe. Ich erwäge kurze Hosen, aber Gernot rät vehement ab. Na gut, dann halt in langer Hose, aber nicht warm. Auf der Hinfahrt erkennen wir dann, dass da irgendein Missverständnis oder Aktualisierungsproblem vorliegen muss, denn mittlerweile sind nur noch Höchstwerte um die null Grad prognostiziert. Zumindest bin ich nicht in der Kurzen unterwegs, aber – Oh Schreck! – ich habe die Bergschuhe vergessen. Das erkenne ich in Payerbach. Umdrehen ist keine Option, weil der Tag zu kurz ist. So denke ich an Hishi, den Sirdar in Nepal, der in alten Nike Air Jordan auf den Gokyo Ri gestiegen ist und bin sicher, dass das gehen muss.
Ich habe zumindest die Laufschuhe mit Goretex an. Die Sohle ist ein Scherz, aber vielleicht sind sie zumindest wasserdicht. Tief darf der Schnee nicht liegen, denn die Schuhe sind natürlich tief geschnitten. Wir steigen durch den Wald, es geht steil bergauf. Schon ist ersichtlich, dass wohl ab spätestens 1.200m mit Schnee zu rechnen ist. Wird schon gehen, ich kann jederzeit umdrehen.
Der Steig ist wirklich schön und auch die Schuhe halten auf dem erwarteten Schnee. Der ist schön hart gefroren, sodass Nässe und Rutschen keine Themen sind. Na, zumindest bin ich nicht in kurzen Hosen unterwegs. Das wäre was, denn es ist rechtkalt. Zweimal geht es über nicht steile Leitern. An den Stellen und bei der Querung von schneebedecktem Geröll sind die Schuhe grenzwertig, aber alles geht.
Bald erreichen wir die Bergstation. Die mittlerweile geschlossene Schneedecke trägt gut. Der Weg zum Ottohaus ist kurz und problemfrei. Hier packen wir unsere Jause aus. Ich habe Kaffee in der Kanne mit. Die Überraschung gelingt. Aber in der Vorfreude habe ich bei der Kaffeezubereitung parallel den Herd für die am Abend vorbereitete Lasagne programmiert. Clever – aber nicht ganz! Denn leider habe ich vergessen, die Lasagne in den Herd zu stellen. Jasmin wird instruiert – alles gut. Der Kaffee schmeckt ebenso wie die beim „Mann“ erworbenen, belegten Weckerl.
Auf der Aussichtsplattform erkennen wir ein Pärchen in der Ferne im Selfie-Wahn. Die junge Dame ist ausnehmend hübsch. Und dann passiert’s. „Du kommst mir so bekannt vor. Irgendwoher kenne ich dich doch!“. Der angesprochenen Gernot schaut verwundert. Der Tiroler Zelten steckt ein bisserl im Hals. Gernot wird dienstlich und bietet IT oder Immobilien an. Aber am strahlenden Lächeln hätte man es erkennen können. Die junge Dame ist die Tochter von Gernots Zahnärztin und macht dort die Assistenz.
Ohne Rucksack und in Timberlands ist sie da heroben, lacht viel und motiviert ihren Begleiter, noch den Jakobskogel zu besteigen. Ich biete noch Tiroler Zelten an und widme mich der Eroberung von Ingress-Portalen. Mit dem Alter treten ja wichtigere Themen in den Vordergrund.
Im Abstieg durch das Törl erinnern wir uns noch, dass am Törlweg vor nicht zu langer Zeit Wanderer in ein Schneebrett gekommen sind. Wir schießen Fotos, zumal wir das erste Mal diesen Steig gehen. Während ich mich auf den Grip meiner Sohlen konzentriere, entscheidet sich ober uns ein Christbaum für den Freitod. Mit Erdreich und Steinen stürzt er sich 50 Meter vor uns in die Tiefe. Sachen gibt’s. Zwei aufsteigende Bergsteigerinnen haben den Zwischenfall beobachtet und sind noch alarmiert. Mit Gernots Frage, ob sie das waren, können sie nichts anfangen. Macht ja nix, weiter geht’s.
Weit unten kommen uns nochmals zwei junge Wanderinnen entgegen. Im urbanen Outfit strebt die Jugend der Sonne am frühen Nachmittag entgegen. Gernot und ich kommen uns mit unserer Hochgebirgsausrichtung inklusive InReach doch ein bisserl over-equipped vor. Salopp gesagt: „Wir pfeifen uns zu viel“. Na, zumindest bin ich in Laufschuhen unterwegs.
Beim Knappenhof treffen wir ein letztes Mal die Zahnarzttochter und ihren Begleiter. Während die beiden in ihr Auto steigen, müssen wir noch weiter nach Kaiserbrunn. Gernot kennt eine Abkürzung. Sie hat zwei Anstiege, soll aber kürzer als der Abstieg nach Hirschwang und die Wanderung am Wasserleitungsweg sein. Mir soll es recht sein. Dass wir ein versperrtes Tor und einige Schilder mit „Zutritt verboten“ passieren, könnte uns Hinweis sein. Gernot brilliert mit seinem Wissen aus den Immobilienschulungen. sodass wir ruhigen Gewissens die Hinweise ignorierend los stapfen.
Nach dem vierten der zwei verbliebenen Anstiege ist das Neupack-Werk von Hirschwang noch immer hartnäckig unter uns. Aber die Seilbahn muss schon hinter uns liegen, oder!? Weit gefehlt, da kommen noch ein paar Etappen. Nach der Seilbahn und weiteren Zwischenanstiegen – jetzt können es wíeklich nur noch maximal zwei sein – geht es im Laub steiler bergauf und bergab. Gernot und ich sind froh, dass wir den Weg ohne unsere Begleitungen erkundet haben. Ob das gut gegangen wäre? Hmm!
Irgendwann ist auch dieser kaum begangene Steig zu Ende. Wir sind an der Schwarza und gehen noch die paar hundert Meter zum Auto. Die Schuhe haben den Anforderungen genügt. Trotzdem nehme ich das nächste Mal wieder die festen Bergschuhe.
Tadelloser Tag, tadellose Tour!