Es gibt viele Argumente für Tirol und ein paar dagegen. Wir halbieren jedenfalls die Reisedauer und bleiben in der Nähe. Am Dienstag geht es zur vertrauten Türlwandhütte. Hier waren wir jedenfalls schon vor zwei Jahren. Am nächsten Morgen starten wir diesmal auf den Hohen Dachstein.
Am Vorabend erhalten wir noch eine Einschulung fürs Vorgehen beim Bergsteigerfrühstück. Gernot ist entzückt beim Anblick des Kaffeeautomaten. Weit weniger entzückt ist er um 6 Uhr am Morgen, als die angekündigt unversperrte Türe fest verriegelt ist. Nix mit Frühstück – bei ungefähr 50% der Bergsteigerschaft drückt das aufs Gemüt. Gar nicht so polternd schauen wir, dass wir nach draußen kommen. Das lockt die Wirtin. Mahh, ist ihr das peinlich. Aber jetzt schmollen wir. Los geht’s!
Erster Stopp ist die Dachsteinsüdwandhütte. Da muss es am Abend zugegangen sein, denn das Geschirr steht noch herum. Ich geh‘ jedenfalls davon aus, dass nicht jemand schon in der Früh Schnaps getrunken hat.
Der Aufstieg unter den Seilen der Gondel ist technisch einfach und landschaftlich recht fein. Im letzten Drittel beginnt ein Klettersteig. Bei A/B hätte ich mir Leichteres erwartet, aber Schwierigkeiten macht der Steig auch nicht. Das Klettersteigset habe ich gleich unten gelassen. Es geht sich leichter ohne.
Pünktlich um 07:50 nimmt die Seilbahn den Betrieb auf und karrt gletscherhungrige Touristen nach oben. Da sind sicherlich auch Dachstein-Besteiger dabei. Wir werden nicht alleine sein!
Knapp unter der Hunerscharte zweigt der Skywalk, ein Klettersteig der Schwierigkeitsstufe E, ab. Den lassen wir links liegen, er muss aber beeindruckend sein. Stattdessen kraxeln wir den Hunerschartensteig. Das Set fehlt nicht, auch wenn der Steig schon recht alpin ist.
Bald bin ich beim Ausstieg und zu meiner Überraschung begrüßt mich Baulärm. In geringer Ferne fuchtelt ein Bagger mit seiner Schaufel über meinem Helm. Na servas, eine Starkstromleitung liegt am Boden und schlängelt sich in ihrer Ummantelung über den Grat zum nächsten Gipfel. Die Gondel hat unter anderem zwei Langläufer ausgespuckt, die etwas desorientiert über die Gletscherreste hasten. Und da sind auch schon die ersten „Bergsteiger“ von der Gondel. Na wusch, falscher Film?
Am Baugerät vorbei ziehen wir zum Einstieg des Hunerkogelklettersteigs. Der ist kurz und mit C/D kategorisiert. Die Sonne brennt plötzlich runter und wir sind zwei von vielen freizeitnarrischen Idioten da heroben. Unser Hobby führt uns direkt zum Gondelausstieg. Der finale Kletterschritt geht über das Geländer. Die Leute staunen nicht viel weniger als wir. Der Kiosk bietet singende Murmeltiere – Oida!
An ein Frühstück ist nicht zu denken. Zu viele ziehen Richtung Hoher Dachstein und ich sehe jede Menge Kletterhelme. Ohne Espresso folgen wir dem Strome, der sich entlang einer Ratrac-Spur über den Gletscher zieht. Gernot ist sicher, dass die meisten zur Seethaler Hütte gehen. Aber ein Bruchteil reicht, um den Steig zu verstopfen. Also, weiter! Espresso kann man auch am Nachmittag schlürfen.
Schon aus größerer Entfernung erkennen wir die Menschentraube am Schnee-Fels-Übergang. Darüber zieht sich eine kurze, bunte Menschenkette in den Himmel. Je näher wir kommen, umso klarer wird, dass hier eine Person den Steig verstopft und zig gut ausgeschlafene Klettersteiggeher auch mal ran wollen.
Wir sind privilegiert und haben Steigeisen mit. So können wir den Randkluftsteig wählen. Ich sehe eine Vierergruppe, die ohne Schwierigkeiten die Randkluft überwindet. Das war noch ganz anders, als ich etwa vor 40 Jahren mit meinem Vater hier war. Da musste man sich vom Schnee über die ein Meter breite Randkluft an den Fels fallen lassen. Brrr! Der Vater hat mich ans „Strickel“ genommen. Aber da wusste ich schon als Kind, dass ich da keine 30 Sekunden drinnen hängen möchte.
So schwitzen wir also das recht steile Schneefeld hinauf. Die Randkluft ist abgesagt. Vielleicht war es der Klimawandel, aber statt Kluft gibt es einen angenehmen Platz zum Wechsel der Ausrüstung. Nach kurzem Stück münden wir in den Schulteranstieg. Da ich keine Sicherung habe, lässt man mich als Möchtegern-Bergfex solange überholen, bis ich keine Luft mehr bekomme. Aber irgendwann erhole ich mich und bin am Gipfel. Gernot hängt irgendwo in der Mitte von Aufsteigern und auch mittlerweile Absteigern. Vielleicht flechten die irgendetwas mit ihren Seilstücken. Nach einiger Zeit mache ich mir Sorgen, wo denn mein Begleiter ist. Und da ist er auch schon. Offensichtlich fehlt ihm auch ein bisserl Treibstoff. Die Schokoriegel haben mir schon geholfen und bewirken Ähnliches bei Gernot. Foto schießen und dann an den Abstieg!
Der geht leichter als vermutet. Uns kommen noch Leute entgegen, die wir in der Schlange unten gesehen haben. Es ist eine bunte Truppe. Eine der Damen meint, dass man mit ihr gerne einen Kaffee trinken gehen kann, auch ein Theaterbesuch wäre fein. Aber wieso sie sich zu diesem Scheiß‘ überreden hat lassen! Dafür hat sie im Moment keine Erklärung parat. Stattdessen hat sie Stilettos und ein Kleid dabei. Denn es hat sicher noch niemand in so einem Outfit Fotos da oben gemacht. Da ist sie sich ganz sicher. Das sehe ich anders und schränke in Gedanken auf „heute“ oder „diese Woche“ ein. Aber irgendwann war da sicher so eine ganz originelle Henn‘ oben. Kurz, überlege ich, ob ich da nicht doch eine Chance auf originelle Fotos verpasse.
Aber wir ziehen wieder über den Randkluftsteig zur Seethalerhütte weiter. Auch hier hat der liebe Herrgott eine bunte Auswahl aus seinem Zoo hergetrieben. Mein Favourite ist ein mittelalter Mann in Racing-Lycra mit kurzen Hosen über dem Hightech-Stoff und einer schnellen Sportbrille. Zwei Stöcke und eine Statur, die auf einen ausgiebigen Bürojob mit entsprechenden Verkürzungen schließen lässt, runden das Bild ab. Er rennt, als gäbe es kostenfreie Getränke hier. Kurz vor der Hütte dann der Griff an die Fitness-Uhr und ein lautes „Wahnsinn! 43:20! Super!“ lässt mich schmunzeln und rätseln. 43:20? Von der Seilbahn? Wurscht, letztlich sind auch wir nur zwei schräge Vögel, die ihre Steigeisen zum Abtropfen aufgehängt haben.
Der Kaffee schmeckt so schlecht, dass nicht einmal ich ihn trinke. Wir steigen ab. Zuerst über die Ratrac-Spur, wo Halbschuhe im Schmelzwasser versinken und dann über die Südwand wieder runter.
Alles in allem war es eine schöne Tour! Wer die Ruhe der Berge sucht, sollte den Dachstein vielleicht gänzlich meiden oder vom Gossausee her aufsteigen. Das hatte ich vor 17(?) Jahren gemacht. Da war es vergleichsweise menschenleer.