Kein Hotel, kein Gasthaus,.. Nix hat offen. Den Schneeberg und die Rax kenne ich schon in aller Stille. Also, mal ein bisserl weiter mit dem Auto, nach Seewiesen und hier ist dann doch nicht alles so einfach.
Sabine hat sich mit Bergsachen eingedeckt und will mich begleiten. Was kann es besseres geben! In meiner Begeisterung bin ich sicher, dass Bergsteigen jedem in die Wiege gelegt ist und man sich halt stellenweise ein bisserl überwinden muss. Zur Sicherheit plane ich eine Tour, die man jederzeit abkürzen oder abbrechen kann. Wer ganz durchhält, hat eine anständige Tour hinter sich.
Die geplante Tour führt von Seewiesen über den Gamssteig auf den Hochweichsel führen. Im Abstieg kann man noch Krautgartenkogel, Mieserkogel und Seeleiten mitnehmen.
Von Seewiesen geht es durch den Seebergwald mal mächtig bergauf. Stetig und steil, da kann man sich sicherlich austoben. Sabine geht hinter mir. Das ist die einzige Möglichkeit, dass sie nicht davonrennt und sich schon zu Beginn auspowert. Sie plaudert hinter mir und bestätigt, dass sie all das nicht sonderlich anstrengt. Geht’s noch? Die Uhr zeigt zwischen 500 und 650 Höhenmeter pro Stunde an. Das ist anständig. Vielleicht sollte ich ein bisserl Gas geben, bis es hinter mir ruhig wird? Nein, macht man nicht. Und so ist es mit der einsamen Ruhe im Wald dahin und ich habe Freude und bin froh. Sieht ja gut aus!
Nach der Abzweigung Richtung Gamssteig zeigen sich die ersten Schneefelder. Der Schnee ist weich genug, um keine Gefahr darzustellen. Aber wären da nicht die Schuhe und Sabines Zögern. Ich habe mir die alten Lowa angezogen. Was ich mir dabei gedacht habe? Vielleicht, dass sie immer so traurig sind, wenn nur die jungen Kollegen rausdürfen? Das Problem mit den Lowa ist nämlich, dass sich das Goretex über die Jahre gewendet haben muss. Soll heißen, Feuchtigkeit und Nässe kommen gut ins Innere, aber keine Luft nach außen.
Und so stehe ich da und schaue auf die glitzernde Schneefläche, auf die Tourengeher ihre Schwünge gezeichnet haben. Fasziniert übersehe ich dabei auch, dass die Spur gar nicht den Firnhang, sondern über teils apere Stellen führt. Aber ich habe keine Ahnung, wie es hinter diesen Hängen Richtung Hochweichsel weitergeht. Und da Corona angesagt ist, ich die falschen Schuhe anhabe und sich Sabine mir anvertraut hat, obsiegt die Vernunft und ich übe mich im Umdrehen, das ohnedies mehr Kraft fordert als das Weitergehen.
So steigen wir auf die Seeleiten, was ein trockenes Unterfangen ist. Von dort haben wir einen Überblick über den Gamssteig, den Hochweichsel in weiter Ferne und das Plateau. Der Gamssteig wäre sicherlich ohne Steigeisen und ohne Stöcke machbar gewesen, das Plateau sowieso. Der schneebedeckte Hochweichsel in der Ferne schüchtert bei den Bedingungen ein. Aber das tun Gipfel aus der Ferne ja immer. Den hätte man sich anschauen müssen, und Schritt für Schritt hätte es auch geklappt.
Wir wandern noch zum Ostgipfel der Staritzen und haben Spaß in den Schneefeldern. Was für ein Genuss in dieser charmanten Begleitung! Alles scheint machbar!
Beim Abstieg, 200 Höhenmeter über dem Parkplatz, passiert dann das Unvorstellbare. Sabine rutscht im steilen Wald aus – unspektakulär, aber der Gesichtsausdruck sieht ganz übel aus. Die Schulter schmerzt, es hat zweimal hörbar geknackt, Sabine schaut schmerzverzerrt und verzweifelt. Ja, kann es das geben? Ich kenne mich nicht aus. Kann sie sich wirklich verletzt haben? Die Wahrscheinlichkeit ist so gering! Also, Quick-check! Keine Wunde, keine wegstehenden Gliedmaßen, einigermaßen beweglicher Arm, örtlich und zeitlich definitiv orientiert. Bergrettung schließe ich aus. Aber da wird es Sabine kurz schwarz vor Augen. Was geht da ab? Natürlich kann all das passieren, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch fast null! Und ich kenne meine „Bergpartnerin“ ja gar nicht, habe keine Erfahrung mit ihr.
Zwei Schmerztabletten später und wir steigen langsam, ganz langsam ab. Uff, Auto ist geschafft. Wir entscheiden uns für einen Abstecher ins Landeskrankenhaus Bruck an der Mur. Dort werde ich Corona-bedingt abgewiesen. Das Röntgen zeigt zum Glück keinen Bruch. Falls die Schmerzen in zwei Wochen noch da sind, ist weiterer medizinischer Rat gefragt. Die arme Sabine muss alleine mit ihrer doch überaus lädierten Schulter nach Graz fahren.
Der Krankenhausbesuch und die Erkenntnis, dass die Sache weiter oben ganz anders ausgehen hätte können, schlagen sich auf mein Gemüt. Immerhin war ich ja der „Experte“ und Sabine der „Newbie“.
Bald sagt die Diagnose, dass es sich um einen Sehneneinriss handelt. Der ist mühsam und will monatelange Behandlung. Sabine war also ganz schön tapfer. Ein selten unglücklicher Beginn einer Berg- und Wanderkarriere ist es aber allemal. Mann oh!
So kann’s gehen!