Über 10 Kilometer ins Seetal und durch die Dullwitz – kein Mensch außer mir weit und breit. Auch keine Spur, nur Natur pur. Und irgendwann wackle ich dann doch schon leicht apathisch zum Gipfelkreuz. Die Abfahrt ist für den Hochschwab erstaunlich gut.
Gernot ist in Salzburg und ich will auch in die Berge. Kurz nach acht parke ich mich an der Bundesstraße in Seewiesen ein. Zwei Kleinbusse der Bergrettung stehen schon da. Etwas alarmiert prüfe ich mein inReach, ob ich nicht irrtümlich den SOS-Knopf gedrückt habe. Während ich mich für die Tour fertigmache, parkt sich noch ein weiteres Auto aus Bruck an der Mur neben mir ein. Ein Pärchen, dessen Sprache mich nach der ersten Einschätzung auf fremdes Ausland schließen lässt, hat es eilig. Sie rennen den Bergrettern nach. Ja, so hat offensichtlich jede Gruppe ihre notorischen Zuspätkommer 😉
Ich denk‘ mir: „Fein, da werde ich heute nicht alleine sein!“. Aber weit gefehlt, die Bergretter haben keinen Bock auf meinen Hatscher. Schon bei der Bundesstraße führt ihr Weg nach rechts.
Die ersten drei Kilometer gehe ich als mittlerweile Kenner der Tour ohne Felle. Es ist flach und so komme ich schnell voran. Ein paar Zentimeter Neuschnee haben aus dem Tal wieder eine Winterlandschaft gemacht. Der Schnee des Winters liegt einerseits überaus hoch, anderseits hat er auf der Wiese gegen die Sonne keine Chance.
Ehe es bergauf geht, felle ich an. Der Tourismusverband hat mir eine Bank gesponsert und irgendwer muss sie sogar schon von den Schneemassen befreit haben. Sehr löblich!
Zwei Spuren von Ski-Doos führen den Berg hinauf und zwei auch wieder runter. Ich wundere mich, wie weit die wohl gekommen sind. Bis zur Florl-Hütte sehe ich sie noch klar, aber auch danach am Weg zur Voisthaler-Hütte tauchen sie an windgeschützten Stellen immer wieder auf. Völlig überrascht bin ich, als ich meine, die Spuren nochmals knapp vor dem Schiestlhaus zu sehen. Da schaust her!
Die Spuren sind die einzige Marscherleichterung. Wo sie der Wind verblasen hat, muss ich spuren. Und der Spuranteil wird mit zunehmender Seehöhe immer mehr. Das geht auf die Substanz, aber ist halt so. Unter der Florlhütte liegt so viel Schnee, dass vom Graben, der sonst den Wald vom Geröllbett trennt, nichts zu sehen ist. Da kann man heuer sicherlich lange in den April/Mai hinein mit den Skiern gehen.
Die Florlhütte ist tief zugeschneit. Ebenso wenig ist irgendetwas vom Franzosenkreuz zusehen. Nicht mal der oberste Spitz sieht heraus. Im Gegenteil, der liegt vielleicht metertief unter dem Schnee.
Der Schnee ist erstaunlich gut. Nach meiner Einschätzung besteht keinerlei Lawinengefahr. Lockerschnee kommt mir manchmal entgegen, aber für eine Menge, die mich umwerfen könnte, reicht das nicht. So steige ich durch dieses unverspurte Gebiet immer höher. Aber, was ist das? Schon weiter unten habe ich es gespürt, aber jetzt lässt es nicht mehr leugnen: Schnee stollt an den Fellen an. Dadurch, dass ich das erste Stück ohne Felle gegangen bin, habe ich die Felle diesmal nicht imprägniert. Das mache ich ab sofort schon daheim. Aber daran kann es eigentlich nicht liegen. Anstollen ist mir erst einmal passiert – vor zwei Jahren. Ich habe keine plausible Erklärung dafür, aber es nervt, weil es den Ski schwerer macht und der Ski auch nicht mehr gleitet. Spuren und Anstollen – das wird was!
Die Voisthaler-Hütte zieht langsam vorbei und ich bin in der oberen Dullwitz. Der Wind hat zugenommen und die Temperaturen sind im Schatten gesunken. Das stellt zumindest das Anstollen ab. Dafür bremst jetzt der Gegenwind. Ich komme mir ein bisserl vor, als wolle irgendwer meine Laktatschwelle ermitteln. Nix da, weiter geht’s!
Ab dort, wo der Graf-Meran-Steig abzweigt, geht es steiler bergauf. Verständlicherweise gibt’s keine Spur und die Stangen sind tief eingeschneit. Dort, wo die Gämsen runtergrinsen, muss ich hinauf. Auf den Hang lacht die Sonne und der neue Schnee ist schon weich und hält nicht auf dem harten Untergrund. Im Steilen fummle ich die Harscheisen drauf. Und mit denen geht’s auch wieder gut. Aber das Anstollen ist wieder da. Der Schnee lässt sich gar nicht mehr abschleifen beim Gehen. Abklopfen geht auch nicht, denn die Harscheisen halten den Klumpen am Ski. Gefühlt wiegt jeder Ski drei bis vier Kilo. Ich weiß, dass das keine 200 Höhenmeter sind, ehe es wieder leichter wird. Trotzdem schafft mich das Heavy-Feet-Training.
Alles geht vorbei! Weiter oben ist alles so abgeblasen und kalt, dass nichts mehr am Ski klebt. Dann ruft auch schon immer deutlicher das Schiestlhaus: „Komm‘, mach eine Pause! Vergiss‘ den Gipfel! Warst eh schon sooft oben und heute ist es nur grauslich bei dem Sturm und Nebel!“. Das Schiestlhaus heult wirklich wie Sirenen im Sturm. Aber der schon recht geschlauchte Odysseus geht am Haus vorbei.
Die rechte Seite des Gipfelaufbaus sieht übel und schneearm aus. Die linke Seite macht einen besseren Eindruck. Aber ich weiß auch, dass ich dann oben irgendwie über die Wechte muss. Die Stecken sind links gut sichtbar und ich gehe links, obwohl ich mir schon einmal geschworen habe, nur noch rechts zu gehen. Tja, Entscheidungen am Berg in unterzuckertem Zustand sind oft nicht fundiert.
Also, links rauf, den Stangen nach. Irgendwann muss ich über die Wechte und die ist bei dem Wind mächtig, aber heute auch irgendwie gnädig. Nach ein paar Versuchen lässt sie mich gewähren. Im (geistigen) Nebel dann noch zum Gipfel. Nur nicht zu weit links von den Stangen, sonst rächt sich die Wechte doch noch. Und da ist das Gipfelkreuz! Schnell ein Foto, Abfellen ein paar Schluck Tee und Fertigmachen für die Abfahrt, ehe ich auskühle.
Das Stück vom Gipfel bis zum Schiestlhaus ist für mich kaum fahrbar. Der Wind lässt abgeblasenen Harsch mit Pulverlinsen wechseln. Nur das sehe ich nicht, weil der Wind auch Wolkenfetzen vor sich hertreibt. Ich bleibe nun auf der orographisch linken Seite (was im obigen Absatz die rechte Seite war) und bin überrascht, dass doch genug Schnee ist.
Wind, Wind, Wind – kein Chance auf eine Rast. Auf den Aufstieg zum Schiestlhaus habe ich auch keine Lust. Also, weiter! Ich muss die Skier schultern und taumle im Wind den Anstieg zum Kar hinauf. Ab hier noch die Querung bei bescheidenen Verhältnissen. Doch plötzlich werden die Verhältnisse besser. Jippieh, ich schwinge und die Sonne lacht. Damit sehe ich wieder was! Worüber sich der Mensch so freuen kann. Vielleicht haben sich die Verhältnisse gar nicht so stark gewandelt und das Rosinenweckerl, das ich mir am Gipfel reingestopft habe, ist einfach eingefahren. Wer weiß?
Die obere Dullwitz muss ich noch kräftig anschieben. Dafür ist die Voisthalergasse unterhalb der Hütte wieder ein Genuss. Nur meine Aufstiegsspur und meine gleichmäßige Abfahrtsspur sind für heute eingraviert.
Der Gegenanstieg zum Franzosenkreuz/Höllkampl ist ohne Anfellen möglich. Der Schnee ist so feucht, dass die Skier nicht sonderlich rutschen. Mit der Gehautomatik komme ich da einigermaßen komfortabel rauf. Beim Höllkampl mache ich dann erstmals richtig Pause und telefoniere mit Ulli. Hier ist Frühling, es ist warm, die Sonne lacht, der Wind hat sich gelegt.
Noch einmal kann ich schön abfahren. Im Schatten ist feiner Firn. Ich hole Schwung, um möglichst wenig Richtung Florlhütte schieben zu müssen. Dabei komme ich aus dem Schatten in die Sonne. Das, was gerade noch Firn war, ist jetzt Frühjahrssulz. Ich glaub‘, mir reißt es einen Haxen aus, als der Sulz sich den rechten Ski einverleiben will. Meinen Plärrer hat hoffentlich niemand gehört.
Unter der Florlhütte geht es im Schatten wieder gut. Fast schon lohnend die Abfahrt heute. Erst ab der Talstation der Materialseilbahn ist es mit dem Genuss vorbei. Ab hier wird geschoben, geskatet, langgelaufen oder was auch immer. Auch das geht vorbei!
Fast sieben Stunden war ich unterwegs. Das ist fast eine Stunde länger als vor zwei Jahren. Neuschnee und Anstollen haben ihren Tribut verlangt. Die Busse sind schon wieder weg. So ist mein nächster Sozialkontakt die Verkäuferin beim Spar, der ich eine Leberkäsesemmel mit Gurkerl, Senf und Käse abkaufe. Ich bin alleine, im Auto stinkt’s eh schon. Da darf man sich so einer kulinarischen Lässlichkeit schon hingeben 😉
Anstrengende, völlig einsame Tour in landschaftlich toller Kulisse. Der Hochschwab hat oben seine raue Seite gezeigt. Aber ich bin stolz, die Tour trotz einiger Widrigkeiten geschafft zu haben und wurde mit einer recht guten Abfahrt entschädigt. Passt doch!