Zustieg Ramolhaus und Anichspitze
Die Pläne sind groß, die Zeit wird knapp! Ich würde noch gerne einen Gipfel meiner Bergliste erledigen. Die Weißkugel wartet seit Jahren. Ich bin nicht sonderlich zuversichtlich, dass wir diese in diesem Jahr noch schaffen. Die Hütten schließen bald, die Tage werden kürzer, der erste Schnee könnte kommen. Da tut sich ein Zwischenhoch auf. Nicht sonderlich stabil, aber immerhin. Renate ist bei der Tour für Kurzentschlossene dabei. Wir planen den Anstieg zum Ramolhaus von Obergurgl aus am Donnerstag, die drei Ramolkogel am Freitag und den Schalfkogel am Samstag. Am Sonntag kann dann die Kaltfront in Ruhe kommen.
Mammut hat noch neue Hochtourenschuhe rechtzeitig herbeigeschafft. Meine alten Schuhe wurden bei der letzten Tour verwechselt und sind weiterhin verschollen. Am Donnerstag wollen wir früh in Breitenfurt los. Nur der Wetterbericht verschlechtert sich stündlich. Am Donnerstag Nachmittag wird es regnen, und der Freitag sieht auch gar nicht mehr so gut aus. Als wir in Obergurgl ankommen, regnet es wirklich. Aus dem Rucksacktransport wird es auch nichts, weil der Wind zu stark bläst. Mit schwerem Rucksack im Regengewand 1.100 Höhenmeter – da gibt es Attraktiveres. Wir planen um! Wir übernachten in Obergurgl und versuchen am Freitag Aufstieg zum Ramolhaus und Ramolkogel. Damit packen wir das Programm von zwei Tagen in einen Tag. Nach dieser planerischen Meisterleistung gönnen wir uns ein extra feines Abendessen im Grünerhof. Außer uns kommt niemand an diesem Abend auf diese Idee. Fängt doch gut an!
Am Freitag in der Früh nieselt es. Den Rucksacktransport nehmen wir nicht in Anspruch. So genau lässt sich ja nicht sagen, wann der Rucksack oben ankommt und wir wollen noch auf die drei Ramolkogel. Seil, Klettergurt, Karabiner, Eisschrauben, etc. lassen wir im Auto. Das macht den Rucksack leichter. Der Niesel endet bald und los geht es. Der Hüttenzustieg ist lange, aber technisch kein bisserl herausfordernd. Ein scheinbar endloser Almenweg führt stetig bergauf. Vis-a-vis sehen wir erst das Skigebiet, den Angerer und den Weg zur Langtalereckhütte. Das Ramolhaus schaut nach mehr als zwei Drittel der Strecke das erste Mal zu uns her. Wir sind vorbereitet, dass dies eine optische Täuschung ist. Denn der Weg führt unter dem Ramolhaus vorbei, ehe er dann in einem letzten Anstieg „hinten herum“ zum Haus führt. Das letzte Stück ist steil, aber nicht so steil, wie ich dachte. Renate hat an diesem Tag trotzdem hart zu kämpfen. Die Uhr zeigt mit einer Trainingsbelastung von 5.0 an, dass sie ihr sinnvolles Limit erreicht hat. Vielleicht hilft eine Pause mit Essen am Ramolhaus.
Am Ramolhaus empfängt uns Lenka mit blitzenden Augen. Sie führt die Hütte in der dritten Saison und hat alles fest im Griff. Sie empfiehlt, dass wir uns auf den Nördlichen Ramolkogel, die Anichspitze, beschränken sollen. Das ist der erste Gipfel. Vor allem der Große Ramolkogel ist zu dieser Jahreszeit aufgrund der geänderten klimatischen Verhältnisse doch kompliziert. Na ja, viel mehr als die Anichspitze wird sich heute eh nicht ausgehen.
Nach einer Stunde Pause entscheidet sich Renate, mich zu begleiten. Sie kann ja umdrehen, wenn es zu anstrengend wird. Die Anichspitze sollte nicht so wild sein. So gehen wir mit reduziertem Gepäck los. Immer mehr Nebel breitet sich aus. Aber der Wetterbericht verspricht, dass es trocken bleiben wird. Der Weg ist nicht ganz leicht zu finden. Es sind gar zwei Varianten markiert, wobei bei einer Variante die Markierungen teils ausgekreuzt sind. Komisch ist das, hatte ich noch nie. So folgen wir unserem GPX-Track auf Handy und Uhr. Dieser stellt irgendwie die dritte Variante dar.
Am Beginn der kärglichen Reste des Ramolferners stellt sich dann die Frage, ob wir im Fels bzw. Geröll bleiben oder das Eis nehmen. Wir entscheiden uns fürs Eis. Erst wieder auf der Hütte gesteht Renate, dass sie da schon ausreichend fertig war, aber nicht wegen des Nebels alleine zurückgehen wollte. Anderseits wollte sie mir auch nicht den Gipfel nehmen. So macht meine tapfere Begleitung schon recht erschöpft alles Weitere mit.
Wir steigen über den unteren Teil des Gletschers und wechseln dann in den Fels. Steinmänner und Steigspuren führen bis auf etwa 3.200m. Ab dort ist die Routenwahl für uns eine Glücksfrage. Wenn der Nebel aufreißt, sehe ich eine logische Linie, die auf die Anichspitze führt. Aber das Eis ist halt weit zurückgewichen. Damit ist der Untergrund recht lose. Vielleicht gibt es auch einen tadellosen Weg. Die Literatur erwähnt sogar Bohrhaken. Aber davon sehen wir nichts. Stattdessen kraxeln wir eben über loses Gestein Richtung Gipfel. Oh, da höre ich leichte Anzeichen der Verzweiflung. Das rutscht alles so! Der Unterhaltungswert ist auch wirklich nicht hoch – weglos im Nebel, im Instrumentenflug sozusagen. Wir holen für Renate den Pickel raus. Der gibt auf diesem Untergrund, auf diesen schrägen und von nassem Sand überzogenen Felsplatten Halt. „Positive Vibes“ lautet die Devise. Wie wir da wieder runterkommen? Dieser Frage widmen wir uns, sobald wir oben sind. So geht professionelle Planung! Und dann sind wir oben. Ein stolzes Gesicht sehe ich da! Wow, tapfer! Auf die beiden anderen Gipfel verzichten wir ohne lange Diskussion. Nach einer kurzen Pause rückt der Abstieg in den Fokus!
Der Abstieg über den Westgrat ist mal unspektakulär. Wir erreichen den Firn am oberen Ende des Ramolferners. Die direkte Variante über den Ferner trauen wir uns nicht so recht zu. Stattdessen gehen wir am oberen Rand Richtung Osten und steigen dann doch direkt über den Gletscher ab. Renate meistert auch dieses „erste Mal“ mit Bravour. Es ist schon ein bisserl gewöhnungsbedürftig, wenn man zum ersten Mal eine Eisfläche in dieser Neigung mit dem Gesicht voran im Vertrauen auf die Steigeisen absteigt. Eine der wenigen verbliebenen Gletscherspalten sieht man schon aus größerer Entfernung. Sie wird umgangen und wir steigen diesmal bis zum unteren Ende des oberen Teil des Ferners ab. Dann geht es in Steigeisen durch den Matsch und Geröll zum unteren Teil des einst ewigen Eises. Hier beginnt es leicht zu regnen. Mann oh, das ist ein bisserl zäh! Also, Regenjacke an und weiter geht es. Nun werde auch ich müde, die Uhr gibt auch mir eine 5.0 bei der Anstrengung. So wackeln wir beide mehr als wir gehen zurück zum Ramolhaus. Der letzte Gegenanstieg sieht wilder aus, als er ist. Gegen 17 Uhr sind wir wieder auf der Hütte. Das Abendessen wartet schon fast. Die Zimmer sind geräumig, wir schlafen früh ein. Der Schlaf ist laut Uhr aber wie zu erwarten wenig erholsam. So ist das halt in den Bergen. Das schreckt uns nicht!
Hinterer Spiegelkogel und Abstieg Obergurgl
Es war schon am Vorabend absehbar, dass wir keine Lust und Kraft haben, noch den Schlafkogel vor dem Abstieg anzugehen. Lenka hat uns den Hinteren Spiegelkogel empfohlen. Der Empfehlung wollen wir folgen. Wir schlafen aus, soweit das auf einer Berghütte möglich ist. Um 6:44 steht der Sonnenaufgang am Programm. Die Luft ist klar, der Morgen entsprechend kalt mit Temperaturen leicht unter Null. Heute sieht das Wetter tadellos aus.
Beim Frühstück lassen wir uns Zeit. Meine Schuhe stehen brav noch an ihrem Platz. Wir packen den Rucksack für eine kurze Tour. Renate hat sich ob ihrer gestrigen Tapferkeit eine rucksackfreie Tour verdient. Lenka erklärt uns noch einmal, wie wir auf einem alten und nur teils markierten Steig über den Ostgrat auf den Spiegelkogel gelangen können. Die Runde geht dann weiter im Abstieg über den Nordostgrat zum Ramoljoch und von dort zurück zur Hütte.
Der Aufstieg ist eine leichte und kurzweilige Kraxelei. Es macht richtig Spaß, in der Morgensonne den alten Spuren und den für mich als Rotsehschwachen längst verbleichten Markierungen zu folgen. Bald stehen wir am eigentlichen Grat zum Hinteren Spiegelkogel. Zwei, drei Stellen sind ein bisserl spannender, alles andere gestaltet sich einfach. Die Route am Grat ist genuss- und aussichtsreich. Nach gemütlichen eineinhalb Stunden erreichen wir das Gipfelkreuz. Nur am Horizont sieht man Wolken, sonst ist alles blitzblau. Sehr fein! Wir bleiben diesmal länger am Gipfel. In der Sonne ist es angenehm warm.
Zurück geht es den Teil am Grat, den wir schon kennen. Dort, wo wir im Aufstieg von der Hütte herauf zum Grat gelangt sind, folgen wir nun weiter dem Grat Richtung Ramoljoch. Auch diese Variante ist technisch nicht schwierig, erfordert aber sicherlich Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. Zwei, drei Stellen verlangen Aufmerksamkeit. Kurzweilig und schön empfinden wir diesen Abschnitt.
Über das Ramoljoch führt der Zentralalpenweg auf der einen Seite nach Vent, auf der anderen Seite zu unserem Ramolhaus. Am Joch ist richtig etwas los, treffen doch mit uns sieben Bergsteiger aufeinander. Das ist ja fast ein soziales Event hier!
Der Abstieg in den Kessel, wo früher wohl der Ramolferner lag, ist bestens gesichert und mit Steighilfen versehen. Wir sind nun eben nicht auf einer einsamen Route sondern am Zentralalpenweg, quasi einer Autobahn in den Bergen. So sind wir rasch wieder am Ramolhaus, wo wir noch einmal zu Mittag essen, ehe wir nach Obergurgl absteigen.
Die Rucksäcke und die Bergschuhe sind schwer. Der Abstieg ist einfach, aber lang. Schafe stellen sich in den Weg, lassen sich aber vertreiben. An einer Stelle schießt Wasser über den Weg und bietet eine unerbetene Abkühlung. Wie da die Hüttenwanderer in ihren Turnschuhen trockenen Fußes drüber kommen? Ich weiß es nicht, bin aber froh, dass wir die schweren Schuhe anhaben.
Wieder in Obergurgl angelangt, buchen wir uns im Hotel Edelweiß & Gurgl ein. Wir waren in den Semesterferien hier. Rezeptionistin und Kellner meinen sich an uns zu erinnern. Das soll uns recht sein. Nach dem Abendessen fallen wir jedenfalls bald in tiefen Erholungsschlaf. Am nächsten Morgen dann noch eine Seilbahnfahrt auf die Hohe Mut, und damit endet dieser Ausflug. Für Nachmittag ist Regen angesagt und in den folgenden Tagen Schnee. Damit ist auch unsere Hochtourensaison vermutlich beendet.
Für Schalfkogel und Ramolkogel müssen wir ein weiteres Mal vorbeikommen. Hoffentlich passt das Wetter dann. Wir werden ausreichend Zeit einplanen. Dann sollten die beiden Gipfel auf meiner Liste erledigt werden. Schauen ma a mal!
Besten Dank vor allem an meine tapfere, wunderbare Begleiterin Renate!