Hohe Wilde und Eiskögele


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Hohe Wilde (3.480m)

Gernot, Lydia und ich reisen nach Obergurgl. Gernot, der nur am ersten Tag dabei sein will, mietet in Obergurgl ein e-Mountainbike und radelt zur Langtalereckhütte. Lydia und ich nehmen die sieben Kilometer und 600 Höhenmeter zu Fuß in Angriff. Die Rucksäcke deponieren wir in Obergurgl. Sie werden am Abend zur Hütte transportiert. Die Hütte ist recht fein. Wir sind in einem der mit acht Betten größten Mehrbettzimmer. Aber auch das Zimmer selbst ist groß. Hier sollten wir es recht gemütlich haben.

Am Abend sitzen wir noch nach dem Abendessen beisammen. Weder Gernot noch ich haben diesmal ausreichend Zeit in die Planung investiert. Die Route auf die Hohe Wilde bzw. Hochwilde habe ich gar von Alpenvereinaktiv automatisch erstellen lassen. Lydia geht die Route im Geiste durch, und da entdecken Gernot und Lydia fast zeitgleich, dass da auch ein Klettersteig dabei ist. Der Hüttenwirt hat schon gemeint, dass wir eine lange Tour vorhaben. Ich frage wegen des Klettersteigs nochmal nach. Nein, den würde er auslassen, weil es dann für den Tag zu viel wird. Wir werden schon so zehn Stunden unterwegs sein. Was uns bei der Überschreitung erwartet, habe ich auch ausgelöscht. In den Beschreibungen stand etwas von Klettern bis II+ und fast durchgängigem Stahlseil. Das widerspricht sich meines Erachtens und mein Hirn hat dann all diese Herausforderungen auf „Sehen wir, wenn wir dort sind!“ reduziert.

Das Zimmer teilen wir mit einer Familie aus München. Ich entschuldige mich schon, dass der Wecker um fünf Uhr läuten wird. Das nimmt die gute Frau gelassen. Es ist, wie es ist, solange nur keine schweren Schnarcher dabei sind. Upps, da hat sie mit uns leider doch ein ziemliches Pech. Wir werden uns beherrschen!

So starten wir nach dem Frühstück um 05:30 kurz nach sechs in unser Abenteuer. Mit uns machen sich noch zwei Deutsche und ein Vater mit Sohn aus Tschechien auf den Weg. Anfangs läuft es gut, aber unterhalb dem zerstörten Hochwildehaus holen sie uns ein. Der Ruhrpott quatscht unentwegt. Anfangs amüsant, dann zunehmend nervig. Zwei Männer und endlos Belanglosigkeiten. Wir rasten beim Hochwildehaus lange, um dem deutschen Wanderradio Vorsprung zu geben. Das Hochwildehaus ist leider dauerhaft geschlossen. Die globale Erwärmung hat den Permatfrostboden, auf dem das Haus gegründet wurde, tauen lassen. Eine 2014 errichtete Stützkonstruktion sicherte es vorübergehend. Schade!

Am Gurglerferner machen wir uns fertig für den Gletscher. Spalten mag ich nicht zu erkennen. Schön ist er trotzdem. In weiter Ferne schaut die Hochwilde zu uns herunter. Das ist schon noch ein Stück. Da ist das gesprächige deutsche Team wieder. Ohne Seil aber mit Eile macht man sich auf den Weg. Auch wir starten, knapp gefolgt vom tschechischen Team. Es geht aufs Annajoch, das über die Jahre ausgeapert ist und damit einen Teil des Gurglerferners abgetrennt hat. Nun wird es auch mal steiler. Deutschland steigt direttissima auf und legt so auf bald 3.300m ein Kardiotraining hin. Wir gehen es gemütlicher an und erreichen wieder mit den beiden anderen Länderteams den Beginn des Fels.

Oh, was ist denn das? Das ist ein Klettersteig. Da sind wir aber ein bisserl überrascht. Ich erinnere mich, was ich gelesen habe. Aber das war verwirrend – Schwierigkeit II+. Wie soll das gehen, wenn es ein Klettersteig ist? Ein mäßig schwieriger Klettersteig soll es sein. Meine Meinung dazu: technisch ist der Klettersteig nicht schwer. Vielleicht sind da ein oder zwei C-Stellen dabei. Überwiegend ist die Schwierigkeit B/C. Die Herausforderungen sind wohl die Ausgesetztheit und die Höhe. Das macht den Steig für die eine oder den anderen spannend. Lydia behilft sich mit Gernots Selbstsicherungsgerät. Gernot verwendet selbst zwei Bandschlingen mit Karabinern. Ich spaziere ungesichert nach. Da werden die Profis jetzt schimpfen, dass Lydias und Gernots Sicherungen nicht den Anforderungen entsprechen und mangels Dämpfung sehr gefährlich sind. Besser als meine sind beide Varianten und psychologische Unterstützung bieten sie auch mehr.

Der Nordgipfel ist bald erklommen. Wui, ist der spektakulär! So ein kühner Gipfelaufbau! Leider kommen erste Wolken auf. Für ein paar Fotos reicht es noch. Wir genießen den Ausblick, aber machen uns dann doch zügig auf den Weiterweg. Wer weiß, was noch auf uns wartet!

Der Kamm vom Nord- zum Südgipfel ist fast durchgängig mit einem Stahlseil und mit einigen Tritthilfen versichert. Spektakulär ist das passende Attribut. Lydia blickt besorgt, klettert aber tapfer weiter. Wo das Seil endet, soll eine leichte Kletterei der Schwierigkeit II beginnen. Diese muss aber der Wind davon getragen haben. So erreichen wir den 3.480m hohen Südgipfel problemlos. Hohe Wolken türmen sich auf, Lydias Füße haben Blasen bekommen und die Deutsche Welle funkt auch wieder.

Ja, Deutschland weiß, wo man zum Langtalerferner absteigt. Der Abstieg macht mir ein bisserl Sorgen, weil als sehr steil und steinschlaggefährdet angekündigt. Bei den hohen Temperaturen ist das kein erfreulicher Ausblick. Ich frage beim deutschen Team nach, ob sie Ahnung haben. Klaro! Selbstbewusst weist man den Grat entlang und zeigt auf Markierungen. Mein Hinweis, dass dieser Weg doch zu einer italienischen Hütte führt, wird abgeschmettert. Da vorne halt links halten, ist doch nicht so schwer. Bescheidener und pragmatischer antwortet das tschechische Generationenduo auf die Frage nach ihrem Abstieg. „There is the hut!“ und zeigt mit einer Abweichung von 180° zur deutschen Variante.

Lydia erhält noch Unterstützung aus Deutschland in Form eines Blasenpflasters, ehe die deutschen Stimmen in Richtung Italien absteigend immer leiser werden. Tschechien wartet taktisch, wir starten. Schon nach wenigen Metern weichen wir scharf links von der deutschen Variante ab. Sogar Markierung sieht man hier und der Abstieg ist nicht annähernd so übel, wie von mir erwartet. Der Nebel hüllt den Langtalerferner und den Grat ein bisserl ein. Gut so, da sieht man das Übel nicht so. Auf der italienischen Seite ist das Wetter klar. Ebenso klar ist, dass von da unten kein Weg heraufführt. Mal sehen, wann die deutsche Sperspitze den Fehler einsieht und umgekehrt.

Der Übergang vom Fels zum Gletscher ist aufgrund des Rückgangs des Gletschers nicht ganz so einfach, weil steil und mit losem Gestein überzogen. Aufgrund der Steilheit entscheiden wir uns, ohne Seil zu gehen, bis wir im flacheren Teil sind. Hier heroben würden wir uns nur gegenseitig mitnehmen, wenn einer losrutscht. Gernot geht vor und sieht sich einer Gletscherspalte gegenüber. Hinter uns beobachtet Tschechien und – da schau her – Deutschland unser Tun. Ich höre, wie Deutschland laut kundtut, wie es die Sache besser angehen wird. Von Demut ist da keine Spur.

Am Seil führt dann Gernot tadellos durch den doch spaltenreichen Ferner Richtung Hütte. Die Spalten sind nicht groß, aber zahlreich. Es ist nicht herausfordernd, aber auch nicht ganz einfach. Zum Glück versteckt sich die Sonne. So ist der Schnee, der zwischen dem Blankeis liegt, nicht ganz so weich. Der Abstieg ist lange, aber irgendwann haben wir die steilen Passagen hinter uns. In sicherem Abstand sind uns die Teams gefolgt. Nun, wo es flach wird, überholt wieder Deutschland. Die beiden deutschen Kinder sind ein paar Jahre jünger als ich. Wir machen Pause und legen das Seil ab. Der Ferner fließt hier ein paar Kilometer noch das Tal hinaus. Das sollte ohne Seil entspannter zu gehen sein. Der Vater aus Tschechien bedankt sich, dass Gernot so brav als Erster über den Gletscher ist. Einer muss es ja tun, und er ist froh, dass er es nicht sein musste.

An der Gletscherzunge sind die drei Teams schon wieder beisammen. Wir haben das Seil aber schon versorgt. Vor allem wittert Gernot aber eine Chance, dass er den Zug nach Wien noch schafft. So eilen wir zur Hütte im Laufschritt und fliegen nach ein, zwei Kilometer an der Stempelstelle für den Langtalerferner vorbei. So alt sieht die Box noch gar nicht aus. Mann oh, der Rückgang der Gletscher passiert hier mit einer irren Geschwindigkeit. Wir sind mit großem Abstand als erstes Team nach über zehn Stunden zurück. Gernot springt aufs Rad und erreicht Bus und Bahn, Deutschland spricht nicht mehr mit uns.

Das war heute wirklich eine tolle, lange, abwechslungsreiche und lohnende Tour. Dringende Empfehlung!

Die Tour auf Garmin

Eiskögele (3.233m)

Mit Lydias Blasen ist wohl an eine Überschreitung des Schlafkogels nicht zu denken. So haben wir am Vorabend den Rucksack mit der Gletscherausrüstung gepackt und nach Obergurgl geschickt. Wir wollen das Eiskögele besteigen. Die Tour ist kürzer und eher ein Wanderberg mit tollem Ausblick, aber ohne Gletscherkontakt.

Wir schlafen aus und Lydia ist bis auf die Blasen wieder fit. Die meisten anderen Gäste sind schon weg, als wir uns fertig machen. Vor uns muss es wild zugegangen sein. Im Ergebnis sind meine Hochtourenschuhe weg. Die Story ist lustig, aber ich gebe sie hier nicht wieder. Gerne erzähle ich sie privat. Ergebnis ist aber, dass meine tollen Schuhe von Mammut weg sind. Stattdessen ist ein Paar über, dass eine Nummer kleiner ist. Sie sind nicht nur eine Nummer kleiner, qualitativ minderer und nicht voll steigeisenfest. Irgendwer ist also mit meinen schönen Schuhen auf und davon. Leider hat er sich bislang nicht gemeldet.

Lydia und ich besteigen das Eiskögele und sind zu Mittag wieder auf der Hütte. Nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Fußweg nach Obergurgl. In Summe war das dann fast so viel wie die Überschreitung des Schlafkogels. Wir haben jeden und jede an diesem Tag wegen meiner Schuhe befragt. Wie gesagt, ich schreibe dazu hier nicht mehr. Es gilt die Unschuldsvermutung. Vielleicht hat derjenige die Verwechslung bislang nicht bemerkt. Mag ja sein, dass das jemand ist, der solche Schuhe nur einmal im Jahr trägt. Eigentlich ist das alles wenig glaubwürdig. Aber was macht man, wenn einer in der Gruppe nach einer Stunde, vielleicht auf dem Weg zu einer anderen Hütte, draufkommt, dass er die falschen Schuhe genommen hat? Dreht dann die ganze Gruppe um und riskiert den Tagesplan? Ich vermute, die Gruppe geht gemeinsam weiter. Vielleicht traut sich der Betroffene auch nichts zu sagen. Aber jetzt, wo das Wochenende und damit wahrscheinlich auch die Tour zu Ende ist, würde ich schon erwarten, dass der gute Mann beim Hüttenwirt anruft. Der hat meine Kontaktdaten. Ich würde mich freuen.

Die Tour auf Garmin


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