Donnerkogel Klettersteig

Den Vormittag nach dem Traunstein verbringen wir noch am Traunsee, ehe es am frühen Nachmittag weiter an den Gosausee geht. Das Wetter ist weiterhin instabil. Meine sonst so zuversichtliche Renate hat Wettersorgen. Nach einigen Wiederholungen habe auch ich verstanden, dass sie den Klettersteig nicht bei Regen gehen will. Das will ich auch nicht. Aber ich bin in meinem von Regenerinnerungen geprägten Kindheitsmodus. „Den Vormittag müssen wir nutzen.“, „Wenn am Nachmittag der Regen kommt, sind wir wieder längst in der Hütte.“,.. Der Wetterbericht war damals ungenau und sehr großräumig mit „Im Alpenraum häufig schon am späten Vormittag Schauer. Im Osten hingegen noch überwiegend trocken.“. Mittlerweile haben wir das Wetterradar und für jeden Quadratkilometer eine eigene Wettervorhersage, die meist auch noch recht genau stimmt.

So stimmen auch die angesagten Schauer in Gosau für heute Nachmittag. Aber bis wir in der Gondel sind – ja, wir sind ein bisserl faul heute -, ist es schon wieder trocken. Die 380 Meter Distanz zur Gablonzer Hütte schaffen wir. Gunnar und Jeannette, die Betreiber der Hütte, kenne ich. Sie sind die beiden, die sich am Karl-Ludwig-Haus probiert haben. Nun haben sie eine Hütte gefunden, die sie das ganze Jahr betreiben können und deutlich mehr ihren Vorstellungen entspricht. Im Winter sorgt das Skigebiet für Gäste, im Sommer der Klettersteig mit seiner riesigen Leiter. Die beiden wirken überaus zufrieden. Wir sind gewohnt früh am Zimmer. Der Abend klingt bei Gewittern aus. Auch in der Nacht regnet es weiter heftig. Das wird was werden!

Um kurz vor sieben sind wir die ersten beim Frühstück. Komfortbergsteigen auf 1.500m eben. Mein Plan ist es, früh am Steig zu sein und die Leiter für uns zu haben. Um halbneun kommt die Seilbahn und bringt sicher Bergsteiger in Scharen. Und die anderen Gäste auf der Hütte? Faktisch kommt es aber ganz anders, dazu später. Wir starten um halbacht und sind bis zum Gipfel ungestört.

15 Minuten ist der Einstieg von der Gablonzer Hütte entfernt. Der erste Teil mit der Kaiserverschneidung ist ein bisserl herausfordernd, zumal es von der Nacht noch ordentlich nass ist im Steig. Der Steig hat zwei Stellen, die mit C/D angegeben sind, und vier oder fünf mit C. Der Rest ist dann leichter. Bei der Nässe sieht das alles ein bisserl anders aus, in jedem Fall machbar. Renate kämpft und keucht durch den ersten C/D-Abschnitt. Tapfer ist sie. Es kostet eben Kraft, auf diesen rutschigen, weil nassen und von endlosen Kraxlern abgeschliffenen Felsen, Halt zu finden. Zum Glück wurde an Stiften und Klammern nicht gespart.

Wir verpassen die Abzweigung über den Kleinen Donnerkogel und gehen einfach das Seil entlang weiter. Das nächste Mal möchte ich hier achtsamer sein. Den Kleinen Donnerkogel hätte ich auch gerne mitgenommen.

Mit der Leiter in Sichtweite steige ich vor, um den besten Fotoplatz auszuwählen. Eindrucksvoll sieht das aus. Ich bestaune die Leiter von allen Seiten. Das Wetter sollte halten. Passt! Nun ist auch Renate bei der Leiter angelangt. Ein Blick nach oben, und dann steigt sie zuversichtlich los. Immerhin haben das schon so viele vor ihr geschafft. Erst steigt sie verwegen, dann vorsichtiger immer mit demselben Bein voran. Sprosse für Sprosse geht es höher, die Fotos werden toll. Und irgendwann ist sie oben und nimmt im Schwung auch gleich die C/D-Stelle mit.

Nun bin ich dran. Meine Erkenntnisse, die man vielleicht nicht so oft liest, sind:

  • Der Sprossenabstand ist größer als erwartet. Manche Sprossen sind ein bisserl schief. Da werden die meisten ihre Schritte mit Bedacht wählen müssen.
  • Das Gefühl war teils mulmig. Die Leiter wackelt nur wenig. Immerhin war ich alleine auf der Leiter und es ging kein Wind.
  • Beim Umhängen war mir ebenfalls etwas mulmig. Da kann der Verstand hundertmal wiederholen, dass da nichts, aber absolut gar nichts passieren kann.
  • Beim zweiten Mal ist es wahrscheinlich nicht mehr annähernd so spannend wie bei der Prämiere. Dafür werde ich mehr nach links, rechts, oben und unten schauen. Vielleicht mache ich auch Fotos auf der Leiter.
  • Am Wochenende im Sommer mit vielen Wartenden ist die Herausforderung sicher eine andere. Vier Personen dürfen maximal zu gleich auf der Leiter sein. Wenn sich da nur alle daran halten,.. Aber schon vier Personen sind sicherlich ein Gewackel der Sonderklasse. Wenn dann noch die ersten ungeduldigen Rufe von unten kommen: „Jetzt tua‘ scho‘!“, „Mah, was is ’n da los?“,.. werden sicherlich einige Kandidaten ordentlich geprüft werden.

Nach der Leiter wartet noch ein schönes Stück Kletterei. So ist der Steig in Summe als mittel bis eher lange zu bezeichnen. Am Gipfel sind wir jedenfalls happy, die Aufgabe bewältigt zu haben. Wir sind eine Zeit lang alleine hier heroben, fotografieren, jausnen und genießen den Ausblick.

Wir wollen schon aufbrechen, da erreicht ein Bergführer mit seinem Kunden den Gipfel. Der Bergführer muss ordentlich Geschwindigkeit vorgegeben haben. Sein Gast kommt etwas fertig in Jeans, einer gelben Regenhaut und mit dem Rucksack in der Hand. 28 Buchungen in dieser Saison für die Tour hat der Bergführer schon. Ist halt irgendwann auch nur ein Job. Aber er lacht, die Saison hat erst angefangen, da geht’s noch gut. Beim Abstieg werden sie uns überholen, der Bergführer dabei am Handy in ein Gespräch vertieft.

Wo sind eigentlich die von mir gefürchteten Massen? Von den Hüttengästen ist niemand zu sehen. Ein paar Bergsteiger, die mit der Gondel gekommen sind, habe ich im Steig gesehen, aber wo sind die jetzt hin? Egal, wir machen uns an den Abstieg. Dieser ist als zäh beschrieben. Wir sind vorbereitet und finden ihn dann doch nicht so schlimm. Der Abstieg vom Traunstein hat das Prädikat „zäh“ sicherlich verdient. Auch ist der Abstieg vom Donnerkogel niemals gefährlich. Die Nässe macht ihn rutschig. So muss man eben eher vorsichtig und langsam absteigen, aber es geht.

Ah, da sind drei Bergsteiger! Wo kommen die nur her? Die müssen wohl einen Notausstieg gewählt haben. Eine amerikanische Bilderbuchfamilie ist es. Die Tochter sitzt am Hosenboden und versucht derart, das Geröllfeld zu meistern. Dad hat Mom am kurzen Seil. Ja, sie haben nach der Leiter den letzten Notausstieg gewählt. Ich bin sicher, dass der restliche Aufstieg zum Gipfel und die Normalroute schöner und angenehmer waren als das Schotterfeld. Speziell, wenn offenkundig nur einer in der Runde Bergerfahrung hat. Die Tochter hat aber die Fotos für Instagram geschossen und ist zufrieden. Passt also!

Bald treffen wir das nächste Paar. Der Kletterhelm lässt vermuten, was sie vorhaben. Deutsch- und Englischkenntnisse erlauben aber nur eine spärliche Kommunikation. Verstehe ich sie richtig, so suchen sie die Leiter, auf der sie ihren Freund fotografieren wollen, der als einziger den Einstieg in den Klettersteig gepackt hat. Wie, was?

Und da ist schon die nächste Vierergruppe mit Helm im zügigen Schritt. Diesmal frage ich gar nicht nach ihrem Vorhaben. Vielleicht komme ich mal im Sommer vorbei und schau mir das Treiben hochmotivierter und mitunter ebenso bergahnungsloser Influencer bei gekühlten Getränken und Popcorn an.

Der Abstieg ist heute viel kürzer als sonst. Wir stärken uns nochmals auf der Gablonzer Hütte bei herrlichem Rindfleischsalat und Indischer Currysuppe. Die Garmin-Uhr diagnostiziert bei Renate Vitalwerte, die eigentlich ein baldiges Koma anzeigen. Aber sie wirkt recht frisch und aufgekratzt. Nach dem Kaiserschmarren, der schmeckt, wie ihn nur ein Norddeutscher zubereiten kann, schießt es aus Renate: „In sieben Minuten fährt die nächste Gondel!“. Das ist die mittlere Wartezeit beim 15-Minutentakt, aber ich bin ob der Dringlichkeit in Renates Stimme so alarmiert, dass ich schnell alles zusammenpacke, eine Trinkflasche fülle, ehe wir gemeinsam im Schweinsgalopp zur Gondel zische.

Schön war’s! Gunnar verspreche ich einen weiteren Besuch und meine es ernst,

Die Tour auf Garmin