Heute bin ich alleine unterwegs. Die „Standardrunde“ habe ich mir vorgenommen. Also, Parken in Griesleiten, Haidsteig, Abstieg bis zum Königschusswandsteig, diesen wieder rauf und dann den Holzknechsteig runter.
Ich bin gefühlt zügig unterwegs, aber eben nur gefühlt. Beim Einstieg zum Haidsteig fehlen mir schon über fünf Minuten auf die besseren Zeiten. Der Menschheit ist das berechtigterweise völlig wurscht, aber ich bin schon ein bisserl frustriert. Ich gehe meine Standardrunde nie auf Bestzeit. Ich gehe so, dass es fordernd ist, aber sich gut anfühlt. Also, kein Gehetze. So auch heute, aber dass mir damit fünf Minuten oder mehr fehlen?!
Am Steig selbst gibt es heute keine Zwischenfälle. Innehalten bei der Schwarzen Madonna und weiter geht es. Die Kraft verlässt mich. Uh, da muss ich noch ein bisserl trainieren für den Sommer. Renate tröstet mich nach der Tour damit, dass es am minimalistischen Frühstück liegen kann. Eine gute Erklärung. Die These muss ich jedenfalls demnächst überprüfen. Nach 90 Minuten bin ich am Plateau beim Schild zum Haidsteig. Das ist 15 Minuten langsamer als vor zwei, drei Jahren. Oha! Da kann ich mich noch verbessern.
Die weitere Routine sieht vor, dass ich zum Preinerwandkreuz aufsteige. Am Handy sehe ich, dass es ein Ingress-Portal für den Königsschusswandsteig gibt. Oha, das Portal bei der Schwarzen Madonna halte ich bis auf kurze Unterbrechung seit einigen Jahren. Das neue Portal muss von mir erobert werden. Das ist fix, wird gemacht! Heute geht wenig Wind, da sollte ich mit Spusu auch Empfang haben.
Den Abstieg zum Königsschusswandsteig wähle ich heute ganz gut, nicht optimal, war aber auch schon übler. Diesmal will ich mich im Steig ein bisserl mehr konzentrieren, sodass ich Renate berichten kann, was sie denn erwartet, wenn sie das Wagnis demnächst angeht.
Gut, der Einstieg ist schon mal recht steil. Die Topo sagt zurecht ein D. Sehr wenig brauchbare Tritte und Griffe, wenn man nicht gerade im freien Klettern im höheren Schwierigkeitsgrad geübt ist. Bin ich nicht und deswegen brauche ich das Seil. Das braucht Armkraft, von der zu Beginn des Steigs noch genug da ist. Keine Angst, da muss man keinen Klimmzug können, wie das sooft Angst machend am Internet beschrieben ist. Aber man muss sich auf seine Sohlen verlassen und eben einen beträchtlichen Teil des Körpergewichts mit den Händen und Armen halten können. Das ist auch der größte Unterschied zum Haidsteig. Die Schwierigkeit wird mit einer Stufe höher angegeben. D/E erscheint mir hoch, aber D passt ganz sicher. Es warten schon ein paar D-Stellen oder gar D-Abschnitte. Man muss oft griff- und trittlos die Reibung nutzend nach oben. Das kann sehr anstrengend werden. Was hilft da?
- Erfahrung
Es gibt oft Griffe und Tritte, auch wenn es mal nicht danach aussieht. Vielleicht muss man ein bisserl weiter links und rechts schauen. Beim Bergsteigen machen die Beine die Arbeit und nicht die Arme. Kleine Schritte, wo möglich. Schwerpunkt zur Wand, usw. Wer die Sache gelassen angeht, tut sich leichter. - Gute Schuhe
Mit guten Sohlen kann man am steilen Fels auch ohne ausgeprägte Tritte ganz gut stehen. Aber die Sohlen sollten am Fels „kleben“. Eigene Kletterschuhe verwende ich nicht. Meine Zustiegsschuhe, Salewa Wildfire 2, sind völlig ausreichend. - Trocken sollte es sein
Bei Nässe wird es echt mühsam. Bei einer meiner vorigen Begehungen war die „Höhle“ unterm Felsfenster bei nassem Fels und nassem Seil so richtig herausfordernd.
Wer sich also ohne links und rechts zu schauen am Seil wie an einem Blitzableiter nach oben zieht und dabei noch versucht, das Seil aus der Wand zu reißen, wird sich seiner Energiereserven rasch entledigen. Wer gelassener agiert, findet meines Erachtens einen echt tollen Steig vor.
Eine Rampe mit geringer Schwierigkeit (A/B und B) ist auch dabei. Steil ist sie allemal. Bergseitig ragt die Preinerwand fast senkrecht hinauf, auf der anderen Seite fällt sie schnell steiler werdend ab. Und als ich diese geschätzt fünf bis zehn Meter breite Rampe hinaufsteige, schaut mich von oben eine ordentliche Gams an. Sie will die Rampe runter, natürlich ungesichert. Ich überlege. Fix ist, dass ich eingehängt bleibe, denn sonst kegelt sie mich schneller aus der Wand, als ich schauen kann. Ein paar Meter sind zwischen dem Stahlseil und der bergseitigen Wand. Auf der anderen Seite kommt der Abgrund schnell. Die Gams ist kein Steinbock und hat Angst. Mio erscheint dagegen, selbst wenn er Angst hat, mutig zu sein. Erwähnt sein, Mio fürchtet sich fast vor allem. Dass die Gams zwischen mir und Wand durchrauschen wird, kann ich mir also nicht vorstellen. Ungesichert zur Wand wechseln, will ich nicht, weil ich dann eben nirgendwo festhänge. Die Gams probiert Optionen und nimmt den durch sie verursachten Steinschlag ohne zu zucken in Kauf. Danke liebe Gams, und ich mache mir deinetwegen Gedanken. Das muss sich ändern, ich muss da raus. Ich steige auf, die Gams ebenso. Will die jetzt durch das Felsfenster? Das Seil geht nun näher an die Bergseite und schon zischt die Gams nach unten. Da schaut sie hinter dem Abbruch hervor und wir stehen uns zwei Meter voneinander entfernt Auge in Auge gegenüber. Keine Chance auf ein Foto, schon springt sie die Rampe hinunter. Wow!
Jetzt warten noch Höhle und Felsfenster. Nass ist es, aber das Seil ist trocken. Uff! Diesmal gehe ich es gelassen an und suche ein bisschen. Ich zwänge mich nicht am Seil entlang, sondern umgehe den rutschigen Buckel und siehe da, es geht leichter. Auch diesmal würde ich meinem Durchstieg nicht das Prädikat „souverän“ geben, aber deutlich besser. Wird werden!
Der Rest ist dann wieder feine Kraxelei. Manchmal fehlt mir halt schon die Kraft. Diesmal geht es aber recht gut. Doch der Schock kommt beim Ausstieg. Das Ingress-Portal ist vor dem Felsfenster und nicht wie von mir vermutet beim Ausstieg. Mist, jetzt muss ich demnächst noch ein Mal her!
Für den Abstieg habe die Stöcke mit. Das passt nicht ganz zur Kletterei, aber der Orthopäde hat einen gerissenen Meniskus festgestellt. Wenn es geht, möchte ich mit der notwendigen OP noch bis Herbst warten. Die Stöcke habe ich von Renate geschenkt bekommen. Diese Carbon-Dinger sind eine Freude, ich zische das Geröll fast wie eine Gams hinunter. So bin ich nach vier Stunden verstrichener Zeit wieder beim Auto und rechtzeitigt daheim. Am Abend wartet noch Kultur im Bad Vöslauer Freibad. Da liest einer den Prozess von Kafka vor. Oder besser er inszeniert ihn. Egal, er macht es gut, denn ich bleibe die eineinhalb Stunden munter. Sehr fein!