An diesem Nachmittag setzen wir eine Trainingseinheit an. So wird’s gemacht. Renate ist ein bisserl aufgekratzt. Ob es nass ist, ob es Regen geben kann, wie es diesmal ist? Aufgekratzt, aber definitiv nicht ängstlich. Man merkt, sie hat nun schon ein paar Touren hinter sich. Und mit der Erfahrung kommt das Bewusstsein für die Herausforderungen. Gut so!
Den Zustieg vom Seiser Toni aus finden wir schnell, auch wenn ich diesmal wie jedes Mal denke, dass wir zu weit sind. Da denke ich mir dann, dass ich mir das jedes Mal denke und es deswegen okay ist, aber wir diesmal wirklich zu weit sind. Alles klar? Passt aber jedes Mal.
Im Einstieg ist es gar noch feucht, aber das meistern wir schon mal. Zu sagen ist, dass sich der Fels in den letzten Jahren hier rasch abgenutzt hat. Das ist schon eine speckige Partie da rauf. Entweder schmiergelt sich der Fels der Hohen Wand extra rasch ab oder es sind hier Massen unterwegs. Heute ist jedenfalls nichts los. Deswegen sind ja wir da.
Auch die weiteren Schwierigkeiten nimmt Renate im „Vorstieg“. Steil ist es, die Hände und Arme braucht man. Eine von uns beiden strengt sich wirklich an. Der andere nicht so. Die Hängebrücke wackelt nach dem Winter auch ein bisserl mehr und gehört mal „nachgestellt“. Machbar ist sie trotzdem leicht. Danach bietet die Wand mit der Hängeleiter feine Fotomotive. Da muss man ein bisserl warten, bis man fotografieren kann. Aber dann wird’s gut.
Der Notausstieg ist erreicht. Der Rastplatz hier lässt vermuten, dass man es geschafft hat, aber man ist noch nicht ganz oben. Da wartet noch ein bisserl Kraxeln inklusive der Querung. Und diese Querung ist heute nass. Die Topo gibt der Querung ein C. Das ist auch berechtigt bei trockenen Verhältnissen, wenn die Schuhe gut auf dem steilen Fels halten. Heute halten sie nicht. Da muss der Fuß ein bisserl gezielter platziert werden. Stellenweise mag man aber keinen Absatz oder Spalt finden und da ist es dann kein C mehr, sondern ein sattes D. Zum Glück ist das Seil trocken.
Die folgende D-Stelle ist auch trocken und damit fast einfach. Der Ausstieg lässt nicht lange auf sich warten. Juchhu, Renate hat den Steig ein zweites Mal geschafft. Sehr fein! Runter geht’s den Wagnersteig.
Die Steinböcke stehen wie gewohnt herum. Zu diesen habe ich am Internet nachgelesen. Eigentlich ist so ein Steinbock erst über 2.000m anzutreffen, aber hier trotzen sie der zunehmenden Hitze. Und wie sind sie daher gekommen? Vor Jahrzehnten sind ein paar Steinböcke aus einem Gehege auf der Hohen Wand ausgebrochen. Mittlerweile ist die Population auf 100 Tiere angewachsen – je nach Angaben ein bisserl mehr oder weniger. Einige, vorrangig die Jäger, sagen, dass es viel zu viele sind. Ein Abschuss kommt in der Öffentlichkeit aber nicht so gut an. Die Ausflügler, die die Wildnis so sehr lieben, solange sie nicht wild ist, würden vermutlich protestieren. Wie auch immer, ich verstehe nun, warum Mio nicht auf die Hohe Wand darf, aber sonst eben keine Gefahr besteht, auf einen Steinbock unterhalb von 2.000m zu treffen. Ach, der Hochschwab ist auch noch eine Ausnahme. Dort wurden die Steinböcke bewusst angesiedelt. Aber das ist eine andere Geschichte.