Meine Planungsplattform, alpenvereinaktiv.com, liefert manchmal Ergebnisse der seltsamen Art. Recht spontan entscheiden wir uns für eine Runde auf die Hohe Veitsch. Den Wetterbericht hat Renate gecheckt und sie meint, dass es besser wird, als erwartet. Okay, da nehme ich nur kurze Sachen und Regengewand mit. Letzteres aus Prinzip, und das ist gut so. Dazu später.
Renates Schulter lässt weiterhin nur ambitionierte Wanderungen zu. So stehen wir beim Gasthof Scheikl und wollen los. Nur dort, wo laut Handy ein Weg oder Steig sein sollte, ist nichts. Mio muss an die Leine, weil da wieder einmal Kühe rumstehen und naturgemäß blöd schauen. Der geplante Track führt gerade nach oben. Da kann man nicht viel falsch machen. So steigen wir steiglos und steil Wiesen hinauf. Und weil niemand steil bergauf über einen Zaun mit Stacheldraht springen will, wechseln wir auf eine Lifttrasse. Jö, die ist schön zu gehen – so steil, so endlos! Schon bald höre ich wie sich in meinem kleinen Team Widerstand aufbaut. Mio ist es zu heiß und an der Leine zu fad. Nicht einmal Renate kann ich von der Sicht aufs Positive überzeugen. Immerhin lenkt einen nichts ab. Es geht einfach steil bergauf. Keine Fauna, keine besondere Flora, kein Blick übers Land, nur die lange Spur nach oben. So viel Fokus hat man selten. Man ist mit sich selbst und der Frage: „Warum der Scheiß?“ ganz allein. Auch lässt sich die Frage leicht beantworten, ob dem Bergsteigen hedonistische Züge innewohnen. Leider ist aber diese Strecke auch bald vorbei. Bei Renate muss sie eine Katharsis ausgelöst haben. Sie erwägt tatsächlich, weiter direkt zum Bergkamm aufzusteigen. Ist das eine Falle oder Unterzuckerung? Oder gar Sarkasmus? Sie erwägt es tatsächlich, aber ich verweigere strikt. Wir wollen ja gemeinsam im Auto heimfahren.
So wählen wir den vorgesehenen Goassteig, weichen dabei Kühen in Muttertierhaltung – wer hat sich übrigens das einfallen lassen? – aus und werden auch einmal ein bisserl vom Regen gewaschen. Von Schauern habe ich nichts gehört. Was soll’s? Wir gelangen aufs Plateau, wo die Wolken allmählich zu Nebel werden. Der Wind und leichter Niesel lassen meine kurzen Hosen und das T-Shirt komisch erscheinen. Mio erfreut sich letzter Schneefelder. Meine Hände haben mittlerweile eine ähnliche Farbe wie diese Felder. In mir formuliert sich eine Regel: „Den Wetterbericht glaubst du nur, wenn du ihn selbst gelesen hast.“. Bald habe ich die Notfallsausrüstung an. Mio und Renate verschwinden im Nebel. Die nächste Steigerung zur Wahrung des thermischen Wohlbefindens wäre es, in den Biwaksack zu schlüpfen, aber damit warte ich noch. Ich hole auf und wir erreichen das Gipfelkreuz. Es wartet ein kurzer Abstieg zum Graf-Meran-Haus, aber der hat es in sich.
Kuhglocken hallen durch den Nebel. Ach, was gehen mir diese Rindsviecher auf die Nerven. Wir weichen in steiles, nasses und entsprechend rutschiges Gelände aus. Plötzlich höre ich einen Schrei, Renate stürzt ab, bringt sich instinktiv in eine tadellose Langsitzhaltung und bremst den freien Fall auch schon wieder nach einem halben Meter. Ob was passiert ist? „Popschi nass!“ und ohne zeitliche Verzögerung „Ich muss mir die Hose umziehen!“. Da wundert sich der Bergfex in mir. Immerhin weht eine steife Brise aus Nordwest und der Nebel kommt recht feucht daher. Aber da steht Renate schon befreit von ihrer Hose. Ob das der richtige Ort für so eine Umziehaktion ist? Immerhin sind es maximal noch 250 Meter zur Hütte und die Kühe, soweit im Nebel erkennbar, schauen noch blöder als sonst. Ich kann mit Mio schon beruhigt vorgehen. Verwundert nehme ich das Angebot an und steige ab. Da höre ich von hinten noch durch den Wind, ob man die Regenhose ganz aufmachen kann. Ja, kann man. Der Nebel hebt sich und ich sehe eine Gruppe Bergsteiger mit Hund aufsteigen. Mann oh, die treiben die Kühe von links zu uns. Nach rechts ausweichen geht nicht, denn da sind Gämsen. Ober mir sehe ich Renate, die mit der Regenhose in Händen aber nicht an den Beinen kämpft. Was mögen nur die aufsteigenden Wanderer denken?
Mio und ich navigieren ruhig aber stark abgelenkt durch diese animalischen Gefahren. Ich drehe mich immer wieder um. Da steht meine Renate noch immer ohne Hosen. Komisch! Wir warten in der Nähe der Hütte. In einer Windpause höre ich etwas. Ruft oder flucht da Renate? Soll ich wieder aufsteigen? Kurz geben die Nebelfetzen einen Blick frei. Ah, tadellos gekleidet macht sie sich langsam an den Abstieg. Mir wird kalt und ich gehe zur Hütte vor. Aber der Wurm ist drin. Mio bekommt es als erster ab. Er streift mit seinem Schwanz den elektrischen Zaun. Er schreit auf und versteht nicht, wie ihm geschieht. Mir geht es ähnlich, als Renate wieder da ist. Halt, nicht ganz so schlimm! Renate prüft und meint, die Hütte hat zu. Schweigend und mit gesenktem Haupt stehen wir hinter Renate. Zweifel an der Aussage getrauen wir uns nicht anzubringen. Wir umrunden die Hütte, drinnen sitzen Leute. Ich gehe vor und probiere es an der Tür. Ist ja eh offen, aber jetzt ist Renate weg. Mann oh, das läuft ganz schlecht. Mio muss nochmal am Zaun vorbei und eine Runde um die Hütte drehen. Er fürchtet sich und ist dabei nicht ganz alleine. Ah, da ist sie ja!
Irgendwie geht es bekanntlich immer weiter und so sitzen wir ein paar Minuten später bei einer dürftigen Speisekarte im Gastraum. Aber die kalorische Versorgung zeigt Wirkung. Wetter und Stimmung hellen auf. Kulinarisch war es die Hütte nicht wert, aber zumindest mit Kalorien im Bauch und aufgewärmt starten wir den Abstieg. Irgendwer muss meine Trinkflasche nicht richtig zugeschraubt haben. Der Rucksack ist voll Wasser, das langsam, sehr langsam heraustropft. So habe ich während dem Abstieg einen konstant nassen Hintern. Ausgleichende Gerechtigkeit? Man weiß es nicht. Ach ja, wir weichen Kühen in Muttertierhaltung – langsam krieg‘ ich einen Grant – aus und landen auf einer Lifttrasse. Bergab sind diese übrigens auch nicht viel besser als bergauf.
Alles in allem eine kurzweilige Tour, wie man sie nicht unbedingt wiederholen muss. Trotzdem aber auch nicht wirklich übel. Eine Sitzheizung ist übrigens mitunter eine wahrlich feine Sonderausstattung!