Bergsteigen: Rinnenspitze (3.003m)

Die Saison geht dem Ende entgegen. Das zweite Jahr liegt mein Seil, die ungenutzte RAD LINE von Petzl, im Keller. Auch die Hochtouren-Schuhe waren 2021 noch nicht draußen. Gernot und ich scherzen schon, dass eher die Gletscher geschmolzen sind, als dass die RAD LINE zum Einsatz kommt. Das ist alles ein bisschen verwunderlich und frustrierend. Aber so ist es nun mal.

Doch plötzlich tut sich ein Schönwetterfenster Ende Oktober auf. Schnee war schon gefallen, ist aber wieder teilweise weggeschmolzen. Auch die Mädels sind gut versorgt. Jasmin reitet in Oberösterreich, Carina macht Ferien allein zuhause und Mio schnuppert bei Karin die Luft der Großstadt. All das bedarf aber auch einiger Vorbereitungen. So kümmert sich Gernot um die Organisation unserer Tour.

Im Stubaital findet er die Alpenpension Pfurtscheller, zwei Zimmer sind gebucht und es stellt sich die Frage, welche Tour? Mehr als Seven Summits stehen zur Auswahl. Nach Rückfrage bei lokalen Bergführen bleiben Wilder Freiger und Rinnenspitze. Der Wilde Freiger ist mit seinen 2.000 Höhenmeter und anschließender Heimfahrt nach Wien mühsam. Die Tour alleine ist schon anstrengend. Ende Oktober müssten wir wohl im Dunklen los. Da entscheiden wir uns für die „Wanderung“, und RAD LINE und Hochtourenschuhe rasten ein weiteres Jahr.

Im Hotel versorgt man uns schon vor sieben mit reichlich Frühstück und einem üppigen Lunchpaket. Die anderen Gäste im Hotel sind zum alpinen Skifahren hier. Siehe da, wir sind nicht die einzigen, die früh auf den Beinen sind.

Mit dem Auto geht es zum Parkplatz der Oberisshütte. Es ist kalt, fast nichts los. Wir starten. Zur Auswahl stehen ein „unbewarteter“ Steig und der offizielle Steig zur Franz-Senn-Hütte. In vielen Kehren lassen wir den Talboden rasch hinter uns. Die Franz-Senn-Hütte liegt im Talboden nach dem Berglasferner und bietet sich für viele Touren im Sommer wie Winter an. Das merken wir uns mal. Heute brennt Licht und eine Lüftung pfeift laut, aber Türen und Fenster sind schon fest verschlossen.

Weiter geht es unschwierig zum Rinnensee, wo wir Zufallsgäste eines Naturschauspiels werden, wie ich es noch nie erlebt habe. Die letzten Tage haben den See glasklar zufrieren lassen und nun klettert die Sonne über die Bergkette im Osten. Es müssen Spannungen in der Eisfläche sein, die hier an diesem absolut ruhigen Ort Sphärenklange erklingen lassen. Ein bisserl erinnern die Töne an Synthesizer-Musik aus den Achtzigern. Wir staunen! Versuche, die Töne mit Steinwürfen zu verstärken, scheitern. Das muss die Sonne sein. Gleich landen Außerirdische! War gestern etwas in der Schwammerlsoße? Wow!

Irgendwann trennen wir uns wieder von dieser einzigartigen Bühne und steigen weiter Richtung Rinnenspitze. Das Gelände ist wirklich unschwierig. Die angekündigte Blockkletterei ist problemlos ohne Gebrauch der Hände bewältigbar. Und dann stehen die letzten, knappen hundert Höhenmeter an. Ein Seil und ein paar Stifte bzw. Klammern stehen aus der Wand. Oh, das kommt aber überraschend. Vielleicht hätte ich mir die Beschreibung der Tour doch durchlesen sollen.

Nach ein paar Höhenmeter liegt auch noch eisüberzogener Schnee in den Nischen. Wir haben Grödel und Pickel mit. Der Pickel bleibt am Rucksack, aber die Grödel sollen nicht unnütz rumgetragen werden. Die paar anderen Bergsteigern schaffen es ohne, aber wir haben den Komfort.

Der Klettersteig ist mit A/B klassifiziert und auch wirklich nicht schwer, doch A/B erscheint mir ein bisserl zu nieder eingestuft. An zwei Stellen kann ich mich erinnern, die einen großen Schritt und ein bisserl Armkraft verlangen. Dafür würde ich doch glatt ein B/C vergeben.

Beim Gipfelkreuz warten schon zwei Bergsteigerinnen aus Graz, die schon genau wissen wollen, was wir denn mit den Pickeln vorhaben. Meine Antwort, dass diese viele Klicks auf Instagram bringen, amüsiert die Damen. Ja, den Pickel hätten wir wirklich unten lassen können.

Der Ausblick von der Rinnenspitze ist imposant. Auch wenn man selbst nicht Teil der Gletscher ist, so hat man doch einen beeindruckenden Ausblick auf diese. So ist aus der Wanderung mit den letzten 100 Höhenmetern doch noch eine Bergtour geworden. In diesem Umfeld widmen wir uns mit Genuss unseren Lunch-Paketen. Life’s good!

Der Abstieg passt zum Saisonende. Die tiefstehende Sonne wirft lange Schatten. Alles bereitet sich auf den angekündigten Schnee vor. Wir lassen uns Zeit, sitzen auf 2.500m an einem Rastplatz. Zurück geht es denselben Steig wie in der Früh. Mit den letzten Sonnenstrahlen kommen wir zur Oberissalm. Auch hier ist es der vorletzte Tag der Saison. Kuchen und Kaffee gibt es, ehe wir wieder nach Wien rauschen.

Tolle, unschwere Tour, die auf den letzten 100 Höhenmetern erfrischend spannend wird.

Die Tour auf garmin.com