Bis II+ getraue ich mich vorzusteigen. IIIer packe ich wahrscheinlich auch noch, aber weniger gerne in Verantwortung für einen Begleiter. Und da sich Gernot in die nächste Schwierigkeit steigern will, ruft er seinen ehemaligen Kursleiter für Klettersteige an. Ich bin entspannt, werfe mein gesamtes Material mit Ausnahmen der Eisschrauben ins Auto, pfeife auf die Vorbereitung und fahre mit.
Schon die Frage, ob ich ein Seil habe, macht mich etwas stutzig. Aber egal, die Q ist groß, da kann ich meine Schätze mitnehmen. Ich überlege, ob ich Vaters 60 Jahre altes Seil einpacken soll. Das Gesicht des Bergführers wäre das Späßle schon wert gewesen. Aber stattdessen hätte ich in der Früh an Kontaktlinse, Pulsgurt und Helm denken sollen. Zumindest mit Helm kann mir Peter aushelfen.
Den treffen wir um 8:30 am Parkplatz des Stadelwandparkplatzes. Meine Seile passen nicht, weil allesamt Halbseile sind und das in unterschiedlicher Länge. Was habe ich mir nur einst beim Kauf dabei gedacht? Klemmkeile, Friends,.. alles zu viel für diese sicherlich fein gebohrte Route. Ein paar Exen und Bandschlingen dürfen mit. Los geht’s.
Schnell geht’s los. Peter hat das Seil vom Alpenverein in 60m unter Arm. Ein sympathischer und um ein paar Jahre älterer Kerl zischt in den Stadelwandgraben. Wir sind nicht unfit und zischen hinten nach. Der Zustieg soll schwer zu finden sein. Hmm, mir ist alles recht. Ich hatte nicht einmal Zeit, die Tourenbeschreibung zu lesen. Sind Gernot und ich hingegen alleine unterwegs, wird alles bis ins kleinste Detail studiert. Überraschungen kommen soundso.
Ich war vor etwa 40 Jahren mal mit dem Vater am Stadelwandgrat. Leider hat es damals zu nieseln begonnen und auf dem nassen Fels hat sich in mir Angst ausgebreitet. Damals sind wir umgedreht. Da war ich dankbar. Diesmal strahlt die Sonne, und für Oktober sind hohe Temperaturen angesagt. Ich bin so etwas von tiefenentspannt. Gernot hat zumindest beim Frühstück noch den GPS-Track auf die Uhr geladen und die Topo ausgedruckt.
Und so finden wir auch die passende Abzweigung vom Steig im Stadelwandgraben. Steil geht es über den Waldrücken Richtung Stadelwand. Das Gassl haben wir auch gleich gefunden. Ein bisserl mühsam ist das Geröll in dieser doch geneigten Rinne, und ich bin froh, dass ich nicht ein 60m-Seil in der Hand tragen muss. Am Ende des Gassls geht dann die Suche nach dem Steig los. Gernot entdeckt rote Punkte. Ich frage Peter mal, wann er das letzte Mal hier war. Also, einmal war er hier, und das vor 15 Jahren! Okay, damit sind seine Erinnerungen deutlich frischer als meine, aber auch nicht viel wert. So steigen wir auf und erfreuen uns der Tatsache, dass zumindest die roten Punkte nicht verlorengehen. Ob es unser Steig ist? Keine Details!
Der Unmut unseres Anführers über die Mühsal des Zustiegs nimmt allmählich zu. Eine Eisteepause muss her. Halt, das geht nicht, mir wird selbst in der Sonne kalt. Außerdem sind wir schon auf über 1.100m und Gernot meint, dass der Einstieg bei 1.000m ist. Peter, hingegen, verweist auf eine Tafel, die bald kommen muss und den Einstieg kennzeichnen soll. Zumindest ein klar erkennbarer Steig führt bergan und in die richtige Richtung. Auch Gernots Uhr ist zufrieden. Wir steigen durch zwei Felsen durch, und siehe da, ein unübersehbarer, roter Pfeil weist in eine Richtung – leider in die entgegengesetzte. Peters Erinnerung und Gernots Uhr sehen das 180° anders. Allmählich bedauere ich, mich nicht auch nur ganz leicht vorbereitet zu haben.
Keine Punkte mehr, keine Einstiegstafel, aber Peters Zuversicht und Gernots Uhr lassen uns das Klettergeschirr anlegen. Ich komme vier Meter hinter Gernot ans Seil. Das finde ich witzig, endlich weiß ich, wie sich Mio manchmal so fühlen muss.
Peter klettert vor, das Gelände sieht durchaus machbar aus. Uns bei einem Sturz mitzureißen, wird ihm nicht gelingen. Aber wer weiß, wie es nach der ersten Biegung aussieht. Wir binden uns also an einen Baum. Im Falle aller Fälle soll das auch Bruder Baums Ende sein. Aber natürlich geht alles gut. Wir klettern auf den Pfeiler und auf der anderen Seite wieder runter. Hier unten sind auch wieder rote Punkte und mir als Erstem fällt ein grundsolider Standplatz auf. Zwei Bohrhaken verbunden mit einer Kette stellen klar, dass wir auf einer Kletterroute sind. Ah ja, um den Pfeiler hätte man auch herumgehen können. Da hätte man dem Pfeil folgen müssen. Gernot hat die Topo ausgedruckt. Das sieht alles plausibel aus. Ja, wir sind am richtigen Grat. Selbst unsere kühne Rauf-Runter-Variante ist eingezeichnet.
Gernot sichert und ich als Blinddarm achte darauf, dass er keinen Blödsinn macht. Peter steigt vor, sondiert und flucht gelegentlich, dass es so gut wie keine Zwischensicherungen gibt. Ich bin heute nicht in der Verantwortung und hänge da ganz entspannt an meiner Laufleine. Ob ich vielleicht runter zum Auto soll, um die Friends und Klemmkeile zu holen? Am anderen Ende des Seils hört mich niemand und das ist vermutlich auch gut so.
Dann steigen wir nach, Gernot macht das wie ein Boss und ich? Ich habe da hinten eher eine Gaudi, steige ohne jede Schwierigkeit nach. Das hat allerdings den Nachteil, dass ich mir die Route so nicht einprägen werde. Aber macht nichts.
Auf der weiteren Route wiederholen sich die Seillängen und Szenarien. Gernot sichert, Peter sucht und flucht und jauchzt. Ja, dem macht es auch Spaß. Auch wir haben unseren Spaß, es ist wirklich lässig. Okay, mir fehlt der Ernst. Einzige Sorge ist, dass mir Gernot entgegenkommt und wir beide in der Wand pendeln. Denn Peter findet keine Zwischensicherungen. Da beweist Gernot mehr Gespür. Er findet alle vier, fünf Meter so eine „Rostgurke“. Fein, dass er dieses Geschick hat. Blöd, dass er selten im Vorstieg ist. So muss sich Peter von den Nachsteigenden ein bisserl sekkieren lassen.
Auch die IIIer-Stelle schaffen wir. Die Kombination „III“ und „sehr ausgesetzt“ hat Gernot schlecht schlafen lassen. Aber jetzt, wo es vorbei ist, ist die Freude groß. Jubeln will ich noch nicht. Das wird erst beim Ausstieg – schon aus Prinzip.
Ich hatte übrigens erwartet, dass viele Stellen „abgeschliffen“ oder gar speckig sein werden. Immerhin ist diese Route ein Klassiker im „leichten“ Bereich in der Nähe Wiens . Aber dem war nicht so. Toller, rauer Fels mit stets guten Griffen und Tritten. Okay, ein paar lockere Steine gehören dazu, und im oberen Teil haben sich auch einige Zwischensicherungen gefunden.
Irgendwann stehen wir oben. Was für ein Tagerl! Wir kommen bei der Forsthütte raus, naschen Schoko und Gummibären in der Sonne und sind glücklich, diese Herausforderung geschafft zu haben. Peter drängt nicht. Im Gegenteil er genießt es, und das macht ihn sympathisch und die Tour toll. So unterhalten wir uns über Gott und die Welt, ehe wir wieder über den Stadelwandgraben absteigen. Einer trägt ein Seil unterm Arm. Ja, ein bisserl schräg sind wir schon unterwegs.
Ich denke, ich schaffe die Tour auch im Vorstieg und will das demnächst ausprobieren. Da nehme ich Gernot, ein paar Exen und Friends mit. Wird also eine größere Truppe werden 😉