Bergsteigen: Nandlgrat – Fischerhütte – Fadensteig

Was für Bedingungen! Mitte Oktober hat ein Tief aus dem Süden viel Schnee gebracht. Gernot und ich steigen dem Winter entgegen, ehe der Föhn den Schnee in den nächsten Tagen wieder frisst.

Facebook ist vom Wochenende voll mit Beiträgen zum frühen Schnee in Österreich. Es hat diesmal den Süden und Osten stärker getroffen. Am Schneeberg grabt sich der Traktor der Fischerhütte durch den Schnee und verschwindet. Bergsteiger und Tourengeher posten Winterfotos von Rax und Schneeberg. Für heute ist das Wetter noch nicht top, aber ab Dienstag wird es warm.

Wir starten in Losenheim mit schweren Schuhen und den Steigeisen im Gepäck. Aber der Ferdinand-Bürkle-Hütte liegt Schnee. Die Winterlandschaft ist ein Traum. Die Breite Ries geht definitiv noch nicht mit den Skiern. Das sieht aus der Ferne wie sooft besser aus.

Am Fadensteig erwarten uns jede Menge Gämsen. Sie schauen fast belustigt von oben auf uns herab, während wir uns da durch den immer tiefer werdenden Schnee nach oben kämpfen. Unsere Beobachtung der Gämsen von ihrem erhabenen Platz aus bietet eine angenehme Rast. Aber was ist das? Frauenstimmen und zwei rote Punkte unter uns. Wir schauen, dass wir weiterkommen. Geht’s noch!

Die Bedingungen sind optimal. Es ist zwar viel Schnee, aber der ist kompakt und gut belastbar. Mit zunehmender Höhe wird der Schnee tiefer und das Spuren entsprechend anstrengender. Auch die vorhandenen Spuren vom Wochenende hat der Wind weitgehend verwischt. Wir wechseln uns beim Spuren ab. Der erste schwitzt und keucht. Der zweite steigt entspannt, und motiviert durch aufmunternde Worte. Blöd wird’s, wenn man den Weg verliert und in die schneebedeckten Latschen kommt. Dann ist einem hüfttiefes Rumgestochere sicher. Dabei schnellt der Puls in die Höhe, aber der Körper an sich kein bisserl. Das ist hart.

Von den beiden roten Punkten unter uns ist keine Spur. So können wir den spannenden Ausstieg ganz entspannt angehen. Zuerst geht es entlang eines Stahlseils bergab, ehe man oberhalb der Roten Schütt quert. Hier ist es für den ersten ein bisserl herausfordernd, denn es ist steil und man muss in den unverspurten Schnee steigen. Der hält eh immer, aber wenn er mal nicht hält,… Ich bin froh, dass ich den Pickel dabei habe. Der hilft dann auch beim Ausstieg aufs Plateau. Und schon gilt: We did it!

Weiter geht es etwas mühsam am Plateau zur Fischerhütte. Über uns ist ständig ein Hubschrauber des Bundesheeres, der verschiedene Übungen durchführt. Ist ja auch kein Mensch weit und breit. Stört also niemand außer die beiden, die da im Schnee Richtung Hütte wackeln.

Auf der Hütte sind wir dann die ersten Gäste. Der Kellner freut sich, ihm ist schon recht fad. Den Wanderherbst haben sie sich wohl anders vorgestellt. Da hat das Tief einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Wirt hängt mit dem Traktor wieder am Weg zwischen Hochschneeberg und Fischerhütte in Schneewechten. Wir hören Geschichten und was so ein Kellner im Winter macht. Hmm?

Schon wieder mit dem Mittagessen fast fertig, schaut eine junge Frau bei der Tür herein und fragt, ob geöffnet ist. Ein freundliches Ja meinerseits und weg ist sie wieder. Der Kellner sieht Umsatz und Ansprache in Gefahr und hirscht hinterher. Ja, das sind die beiden jungen Damen, die wir am Nandlgrat gesehen haben. Erinnere ich mich richtig, so ist die jüngere wenig bergerfahren und die andere zwar recht bergerfahren, aber den Nandlgrat noch nie gegangen. Na zack, die haben Nerven! Runter wollen sie den Fadensteig. Den kennen sie laut eigenen Angaben gut.

Gernot gibt angesichts der geringen Gästezahlen so viel Maut, dass wir dem Zirbenschnaps diesmal nicht entkommen. Uje! Als wir wieder aus der Hütte kommen, hat sich dann auch noch Nebel über den Schneeberg gelegt. Ich gehe nochmals in den Gastraum zurück und frage die beiden, ob sie denn mit uns gemeinsam zum Einstieg des Fadensteigs gehen wollen. Sie haben nichts dagegen und dem Kellner ist es recht. Erst am Sonntag musste der Wirt, selbst Bergretter, dreimal ausrücken und Vermisste suchen. Wir sollen anrufen, wenn wir unten sind. Na, so wild wird es auch nicht werden. Wir marschieren los.

Im Abstieg übers Plateau kommen uns zwei junge Bergsteiger entgegen. Der eine trägt Jeans und der andere Leggings mit einer kurzen Trainingshose drüber. Das Schuhwerk passt dazu. Aber was haben sie in den 50L-Rucksäcken? Man darf sich da wundern. Vielleicht sind es Fernwanderer. Der deutsche Akzent würde passen. Ihre erste Frage ist doch ungewöhnlich: ob wir denn auch aufgestiegen sind? Welche Antwortmöglichkeiten habe ich zur Auswahl?
Ja!
Nein, wir wurden raufgeflogen!
Nein, ich wurde heroben geboren und steige nun nach mehr als 52 Jahren erstmals ab!

Kopfschüttelnd ziehe ich mit Gernot weiter. Knapp vor dem Fadensteig kommt die Sonne heraus und wirft einen Halo-Ring in den Nebel unter uns im Fadensteig. Ich fühle mich wie ein Bundeskanzler und möchte sofort eine Ansprache halten, Maßnahmen verkünden, Massen begeistern! Himmel, was war in diesem Zirbenschnaps drinnen? Zur Sicherheit schieße ich ein Foto.

Beim Einstieg in den Fadensteig legen die beiden Damen umgehend Steigeisen an. Wir probieren es ohne, aber schon nach ein paar Meter erkenne ich, dass man wohl den Ehrenplatz unter den vermeidbaren Einsätzen verdient, wenn man mit Steigeisen im Rucksack abrutscht. Also, wenn wir sie schon mithaben und ohnedies über das feinste Gerät verfügen, schnallen wir sie auch an. Das macht den restlichen Abstieg unspektakulär.

Weiter unten taut es wie verrückt. Die warme Luft ist da. Wir haben es wohl richtig gemacht und dem Winter erstmals herzlich Hallo gesagt.
Prädikat: überaus beeindruckend!

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