Der 22.7. ist der Geburtstag meines Vaters, es wäre sein 92., und ich mache mich auf den Weg Richtung „Steineres Meer“. Der Vater hat mir diesen Gebirgsstock wiederholt als ödes, verkarstetes Kalkgebirge, in seiner Einsamkeit und Hüttenlosigkeit nur vom Toten Gebirge übertroffen, vorgestellt. Kurz, nix für einen Teenager, aber schauen wir einmal, wie es nun wirklich ist.
Gernot weilt weiterhin auf Sommerfrische in Rain bei Leogang. Am Abend regnet es in Rain, aber der Wetterbericht ist gut. Die Drucklage ist flach, was letztlich heißt: „Lokal ist alles möglich.“. Um 05:15 läutet der Wecker und das Wetter lädt eher zum Schwammerl suchen ein. Beim Aufbruch um 6:30 in Maria Alm regnet es gar leicht. In der Goretex-Haut schwitzt man. Ohne Schutz ist man schnell nass. Dort, wo der neu angelegte Weg über Kuhweiden führt, stapfen wir durch tiefen Gatsch. Die Kühe leisten bei ihrer so oft gelobten Landschaftspflege ganze Arbeit. Sie zertrampeln nicht nur den Weg sondern sch.., pardon misten, auch gleich drauf. So machen wir im Schweiße unseres Angesichts mit den Füßen im tiefen Gatsch Höhenmeter. Ich weiß, dass es bald besser sein wird und bin froh, dass meine Anreise mit Lohnenderem entschädigt werden wird. Die Wolkenstimmung ist beeindruckend und diese halten wir auf den Fotos fest. Und Fotos sind letztlich das, was in Erinnerung bleibt. Alles gut!
Der Zustieg ist mit 1.300 Höhenmeter schon mal eine Anstrengung. Wir kommen gut voran. Beim Einstieg auf 2.200m Seehöhe sind wir einerseits gut aufgewärmt, aber es ist kalt, richtig kalt. Wir sind verschwitzt und haben zu spät trockene Kleidung angelegt. Wer nur ein Ersatz-Shirt mitführt, greift halt nicht allzu schnell darauf zurück.
Und so steigen wir mit klammen Fingern in der Herzogsteig ein. Ich tröste mich mit den vielen Bergberichten, in denen die dortigen Protagonisten mit ihren Fingern eisige Felsgriffe abtauen müssen. So schlimm ist es hier wirklich nicht! Da ist es im Vergleich wohlig warm, wenngleich sich meine Finger den Reißverschlüssen oder dem Doppelclick am Handy für die Kamera verwehren.
Der Steig geht rasig los und ich denke mir: „Na servas, wenn das in dem Anspruch bis oben so weitergeht bzw. sich noch ordentlich steigert…“. Aber bald beruhigt sich der Steig und wir erfreuen uns einer schönen Kraxelei. Selbst dort, wo wir auf Nässe treffen, ist der Fels griffig. Vielleicht liegt das daran, dass der Steig erst 2014 neu errichtet wurde und in dieser Einsamkeit selten Leute vorbeikommen, die den Fels abschleifen und einschwatteln. Die Steigführung ist toll gewählt, die Kraxelei ein Genuss. Und irgendwann erreichen wir den Gipfel. Die Wolken tanzen um uns herum und geben mal den Blick über das Steinere Meer, den endlosen Überresten der letzten Vergletscherung, mal den Blick auf die spitzen Gipfel frei.
Den Abstieg über die Luegscharte verweigern wir nach Gernots Recherchen und umrunden stattdessen zur Buchenscharte. Dort stehen wir am Fuße der Schönfeldspitze. Unsicherheit kommt auf, ob denn das Selbhorn der höchste Gipfel des Steinernen Meeres ist. Wikipedia behauptet das. Mit 2.655m wäre es ein paar Meter höher als die Schönfeldspitze. Andere Quellen sagen aber, dass das Selbhorn unter 2.643 m hoch ist. Eineinhalb Stunden wären es noch bis auf die Schönfeldspitze. Wir sind sehr nahe. Das ist eine Überlegung wert. Zum Glück entscheiden wir uns für den Abstieg. von der Scharte sind es noch über 1.400 Höhenmeter nach unten. Und das ist viel, wenn man bedenkt, dass wir schon 1.800 Höhenmeter im Aufstieg und knapp 400 im Abstieg hinter uns haben. Der Abstieg ist zäh, geht aber wie immer auch irgendwann vorbei. Awesome – wie Gernot sagen würde!
Das Paradoxon löst sich mir erst bei Niederschrift auf: Das Gipfelkreuz steht am Südgipfel mit 2.643m. Das Selbhorn selbst ist der unspektakulärere Gipfel etwas weiter nördlich mit der hölzernen Madonna. Na, zum Glück sind wir nicht im Wahn, den höchsten Gipfel zu erklimmen, auf die Schönfeldspitze, um daheim zu erkennen, dass dies eine sinnlose Übung war. Obwohl, ist das Bergsteigen nicht generell eher sinnlos? Ach, immer diese Sinnfragen! 🙂
Noch ein Frage: Ist das Steinerne Meer öde? Diese endlose Steinwüste, die sich bis zum Horizont erstreckt, und das Fehlen einer Hütte auf dieser Tour sprechen ganz klar für eine Antwort mit Ja. Aber diese abgeschiedene Mondlandschaft fasziniert auch. Der Steig ist meines Erachtens eine klare Empfehlung. Den Leistungsfanatiker wird er vielleicht enttäuschen, weil die C/D-Stellen wenig und doch kurz sind. Da gibt es bei weit kürzerem Zustieg herausforderndere Sportsteige. Aber wer den Genuss und die Einsamkeit mag, ist hier goldrichtig. Wir waren an diesem Donnerstag wohl die einzigen am Steig. Mir hat’s jedenfalls „voi taugt“ – so schaut’s aus!
Garmin ist down und mutmaßlich Opfer eines Hacking-Angriffes! Ob mir jemand glaubt, dass ich oben war? Egal, dann halt mehr Fotos!
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