Lydia will auf den Schneeberg. Da stelle ich noch schnell eine Tour über den Novembergrat zusammen. Nur, den werden wir nicht finden. So frohlocken wir über den Nandlgrat und im Abstieg zumindest ein Novum: der Schneidergraben.
Gernot kneift, und so fahren Lydia und ich alleine nach Schneebergdörfl. Es ist in der Früh schon ziemlich schwül und somit ein bisserl mühsam. Ob es denn oben kühler sein werde und ob diese lästigen Fliegen sich geschlichen haben werden. Beides kann ich meiner sukzessive entnervteren Begleiterin in Aussicht stellen. Der Jetlag sitzt ihr noch in den Knochen. Sie meint, dass sie Jetlag das erste Mal in dieser Intensität spürt. Übel, schwindelig, müde – keine guten Voraussetzungen.
Mich wundert, dass wir nun schon die Breite Ries links liegen lassen. Auch sieht es da irgendwie aus, als käme bald die Ferdinand-Bürkle-Hütte. Die Uhr sagt, wir sind richtig. Was heißt schon richtig? Plötzlich taucht erwähnte Hütte auf. Jetzt staune ich! Müssen wir wieder durch die Breite Ries zurück? Keine passende Abzweigung kommt und so entscheide ich schleichend, dass wir den Nandlgrat gehen. Kenne ich schon und Lydia wird ihn schaffen.
Jetlag und die beschriebenen Symptome lassen Lydia immer wieder pausieren. „Der Steig ist so ein Scheiß! Das ist immer wieder dasselbe. Ist der Steig mit Boomerang erstellt?“. Auch Gernot hat Glück, dass er nicht dabei ist: „Der fehlte mir gerade noch! Hinter jeder Ecke würde ich ein ‚Awesome, so schön da!‘ hören. Kein Wunder, dass euch der Steig gefällt. Denn, wenn ich alle paar Minuten vergessen würde, was gerade war, dann gefiele mir das vielleicht auch.“. Na ja, so oder so ähnlich oder vielleicht auch ein bisserl übertrieben. Aber wir kämpfen und irgendwann ist auch das geschafft. Wir stehen am Plateau.
Hier sucht schon ein gelber Hubschrauber dicht über unseren Köpfen. Hat Lydia auf den SOS-Knopf gedrückt? Ah nein! Wir sehen, dass er Richtung Fadensteig einen Retter am Tau absetzt und dann wieder mit drei Menschen am Tau zur Fischerhütte fliegt. Neugierig wäre ich ja, verlasse mich aber auf die Meldung der Bergrettung in Facebook oder auf einen Bericht in der NÖN. Aber diesmal nichts. So nah dabei und trotzdem ohne Ahnung, was da passiert ist.
Auf der Fischerhütte genießen die Zahnradbahn-Gäste das Helikopter-Spektakel bei Schweinsbraten und Bier bzw. Kuchen und Kaffee. Wir Bergfexen sitzen drinnen und tun so, als wäre es das Alltäglichste und wüssten es doch gerne.
Jetzt, wo wir den Novembergrat nicht gefunden haben, will ich zumindest den Schneidergraben runter. Kenne ich nicht, sollte aber gehen. Der Abstieg beginnt Richtung Damböckhaus, wo Ulli und ich vor 15 Jahren geheiratet haben. Knapp vor der Hütte geht es dann über einen schwer zu findenden Steig in den Graben. Der Blick in den Graben ist zumindest schon mal toll.
Wir finden eine Markierung und steigen ab. Selten begangen beschreibt wohl das, was wir vorfinden, am besten. Steil geht er anfangs, ehe lange Geröllfelder kommen. Ich versuche herauszufinden, ob wir diese abfahren können. Auf der Karte sehe ich keinen Abbruch und ich meine, auch Spuren zu erkennen. Wir rauschen über das scheinbar endlose Feld ab, gelegentlich finden sich sogar Markierungen. Lydia findet es auch lustig und ist mit dem Tag wieder versöhnt.
Gewitterdonner kommt auf, aber kein Tropfen ist zu spüren. Da haben wir Glück, denn rund herum geht es recht feucht zu. Die Geröllfelder haben leider irgendwann ein Ende, Lydia leert ihr Schuhe. Ich bin jedesmal ganz erstaunt, dass keine Steine in meine „Laufschuhe“ gelangen, sind sie doch viel tiefer geschnitten als Bergschuhe – das Gottfriedsche Geröllparadoxon!
Schon recht weit unten weisen Schilder in den Schneidergraben: „Bei Schneelage Lebensgefahr!“ – aber geh! Mehr Erkenntnis bringt das Schild: „Oberer Teil des Schneidergrabens nicht begehbar!“. Na ja, so schlimm war es nicht. Ganz im Gegenteil, im Abstieg hatten wir nach dem Einstieg unseren Spaß.
Andere Wanderer sind den Grafensteig gesehen, konnten sich aber auch nicht erinnern, eine Abzweigung zum Novembergrat gesehen zu haben. Der muss irgendwo zwischen Nandlgrat und Schneidergraben liegen. Ich werde mich diesem weißen Fleck auf meiner Schneebergkarte mal mit mehr Vorbereitung widmen.