Nach ein paar Tagen Weißensee sind Ulli, die Mädels und ich weiter nach Kals am Großglockner ins edle Gradonna Mountain Resort gezogen. Lydia ist schon an den Weißensee nachgekommen, Gernot kommt nach Kals. Die Wetterlage ist leider labil. D.h., wir wechseln oft zwischen Hochschober und der Kendlspitze als Alternative. Erst in der Früh fällt die Entscheidung zugunsten des Hochschobers.
Wir starten bei der Leibnitzbach-Brücke auf 1.676m. Dort soll ein Parkplatz sein. Das letzte Stück ist eine steile Forststraße. Dessen sind wir uns bewusst und wir hoffen, dass sie offen ist. Aber Google legt noch eins drauf und schickt uns schon Kilometer vorher auf eine unbefestigte Straße und so staunen wir nicht schlecht über die abenteuerliche Zufahrt. Beim beschriebenen Parkplatz stehen dann auch schon einige Autos. Am Tau erkennt man, dass alle bis auf eine Ausnahme auch schon in der Nacht da waren.
Mit Pickel und Steigeisen im Rucksack starten wir. Bald werden wir von deutlich leichter ausgerüsteten Bergsteigern überholt. In gutem Deutsch mit deutlich östlichem Akzent fragt mich die Dame, ob wir denn auch auf den Hochschober gehen. Ich staune und betrachte mir die Ausrüstung. Na, da sind zumindest wir mal auf der sicheren Seite. Ihr Begleiter meint noch, dass lange Hosen so wie meine gar nicht gehen. Alles viel zu heiß. Sie müssen ja Gas geben. Auch recht, ich denke, wir sehen uns heute nochmals.
Bis zur Hochschoberhütte geht es landschaftlich beeindruckend in der Morgenluft bergauf. Auf der Hütte wartet der wohl beste Topfenstrudel seit langem und das Gradonna in Kals hat die Latte wahrlich schon sehr hoch gelegt. Man könnte ja noch länger in der Morgensonne Strudel, Espresso und Panorama genießen, aber die Zeit drängt. Schon ab Mittag ist mit Wolken und infolge bald mit Regen zu rechnen. Also, weiter geht’s.
Irgendwo auf 2.500 hm treffen wir auf eine Wanderin mit ihren beiden Kindern. Den beiden sieht man an, dass sie daher verdammt wurden und vermutlich lieber irgendwo am See oder Pool ein bisserl chillen würden. Auch von diesen Bergbesuchern werden wir an dem Tag noch hören.
Es liegt fast kein Schnee und ich vermute, dass wir wieder einmal Steigeisen und Pickel umsonst herumtragen. Kein anderer Bergsteiger hat eine vergleichbare Ausrüstung dabei. Was soll’s, wir steigen weiter und manchmal klettern wir auch ein bisserl. Ab der Staniskascharte knapp unter 3.000m sind die Hang- und Gipfelwolken nicht mehr zu leugnen. Aber das Wetter wird schon noch halten.
Ein Stück weiter treffen wir auf das Paar mit Ostakzent. Die Luft ist bei denen raus. Der Mann erklärt mir, wie ich weiter aufsteigen soll und dass es eh vielleicht sinnlos ist, den Gipfel zu besteigen, weil die Sicht null sein könnte. Sie hätten genug und würden absteigen. Wirres Zeug, aber meinetwegen. Ehe ich noch richtig einwenden kann, dass es nur noch 200 Höhenmeter sind, sehe ich seine Begleiterin oberhalb bzw. in einer steilen Rinne sitzen. Sie bringt als Vorschlag, dass man hier den Abstieg abkürzen kann. Kann man sicherlich. Dagegen spricht nicht nur, dass die Abkürzung auf die anderen Seite der Scharte führt sondern auch, dass man wohl völlig von Sinnen sein muss, um den Weg am Hosenboden Richtung Abgrund zu verlassen. Was soll ich da machen? Ich bin ahnungslos. Der gute Mann konnte sie letztlich doch noch überzeugen, dass sie wieder zu ihm auf den Weg zurückkommt.
Noch mal ca. 100 Höhenmeter lassen andere Eltern ihre beiden Kinder zurück, um alleine auf den Gipfel zu steigen. Gut, es sind nur noch 100 Höhenmeter bis zum Gipfel. Da ist man in 15 Minuten oben. Dazu kommen 10 Minuten Pause und 10 Minuten Abstieg. Also, ich mag nicht eine gute halbe Stunde auf über 3.000m warten müssen. Zumindest sind die Kinder schon Teenager, aber trotzdem. Man stelle sich nur vor, Nebel zieht auf und die beiden Ostakzentler wirken mit kühnen Ideen auf die beiden Teenager ein. Egal, auch diese Familie werden wir wieder wohl behalten auf der Hochschoberhütte sehen.
Unter dem Gipfel überholen wir dann noch ein Paar ausländischer Herkunft. Es ist offenkundig, dass die gute Frau wohl noch nicht oft oder eher noch nie im Fels unterwegs war. Wieder staune ich, was da in den Tiroler Bergen unterwegs ist.
Am Gipfel wird uns von der Überschreitung abgeraten, weil der Wirt meint, dass noch einfach zu viel Schnee „drinnen“ sei. Na ja, die Meinung von Hüttenwirten ist ja nicht allzu oft treffsicher. Gut, es gibt welche, die sind selbst bei der Bergrettung und oft unterwegs, aber die meisten verlassen sich auch nur auf die Aussagen ihrer Gäste. Ich schau‘ in den Abstieg, so weit es geht, aber Schneemassen will ich keine erspähen. Wir sind gut ausgerüstet und entscheiden uns spontan für die Überschreitung, während all die anderen bunten Vögel den Aufstieg wieder absteigen.
Bald sind wir alleine am Südostgrat. Sonderlich lohnend ist der Abstieg da nicht. Der Boden ist völlig aufgetaut und entsprechend locker und matschig. Ich hatte in dieser Höhe schon noch gefrorenen Boden erwartet. Dem ist aber nicht so, wie überhaupt die Klimaerwärmung da heroben ordentlich aufgeräumt hat. Von Gletscher oder zumindest steilen Firnfeldern ist nicht viel übrig. Stattdessen nur schmieriger Schutt, der mangels Minustemperaturen den Halt verliert. Der Klimawandel macht die Steigeisen in dieser Höhe wirklich bald überflüssig.
Am einzigen, steileren Schneefeld packen wir die Pickel aus, wir haben sie ja mit. Da kommen uns auch schon zwei von unten entgegen, die das Feld gerade ohne Hilfsmittel meistern. Macht ja nichts. Aber auch weiter unten kommt kein Schnee mehr. Also, man kann auf einem weniger steilen Feld abfahren, aber das war es dann auch. Schade, aber auch recht.
Langsam geht’s also über den Schutt und durch das Blockwerk abwärts. Wir sind nicht schneller als im Aufstieg. Ich bin verwundert und schaue immer wieder nach meinen beiden Begleitern. Die haben da hinten bzw. da oben eine rechte Hetz, aber vorwärts machen sie nicht. Soll sein, hoffentlich hält das Wetter.
Das Wetter hält auch fast bis zur Hütte. Schon am Gartlsee spüren wir die ersten Tropfen, aber die nächste gute halbe Stunde bis zur Hütte verschont und das Wetter noch vor einem Regenguß. Bei der Hütte steht auch schon der Wirt mit dem Fernglas und sucht den Steig Richtung Staniskascharte ab. Andere Bergsteiger haben erzählt, dass oben beschriebene Frau eines der oder beide Kinder stehen ließ, um weiter zum Gipfel gehen zu können. Da will ich gleich los, aber erstens sind meine Beine müde, zweitens ist es ordentlich weit und drittens meinen eh alle, dass die schon noch kommen würden. Vielleicht stimmen die Berichte ja nicht und die gute Frau ist längst mit ihren beiden Kindern im Tal. Trotzdem alleine die Idee, Kinder irgendwo im hochalpinen Gelände warten zu lassen, ist absurd. Ich staune und mir tun die Kinder leid, die da jetzt im Nebel bei Regen rumstehen. Sachen gibt’s.
Nach einer Jause geht es noch zum Parkplatz zurück. Die 650 Höhenmeter fühlen sich lange an. Die schweren Schuhe mit ihrer steifen Sohle machen sich bemerkbar. Aber wie eigentlich noch jedes Mal geht auch das vorbei und wir haben den Hochschober erledigt. Jippieh!