Die erste Hitzewelle liegt über Ostösterreich. Gernot und ich entfliehen den 35° ins Hochschwab-Gebiet, wo man vor zwei Wochen noch gut mit den Skiern abfahren konnte. Und Schnee war diesmal auch noch genug!
Kurz vor neun starten wir beim Alpenhotel(!) Bodenbauer. Noch ist es gar nicht so heiß, wenngleich der rasche Temperaturanstieg vermuten lässt, dass sich das bald ändern wird. Im Wald unter der Hundswand habe ich Sorge, dass das eine seltene Schwitzerpartie werden wird, aber bald bewegt sich die Luft, zuerst ein wenig und dann immer stärker. Uff, Gefahr gebannt!
Im mittleren bzw. oberen Trawiestal beginnt der Schnee. Man kann gut auf apere Stellen ausweichen, und man kann den Schnee suchen und auf dem Sommerfirn angenehm aufsteigen, denn steil ist hier ja noch nicht. Recht viele verendete Gämsen liegen herum. Die Tiermystiker unter uns sprechen ja von einem siebten Sinn der Tiere, wenn es um Naturgefahren geht. Ein Sinn, den wir in unserer immer hektischeren Welt schon längst verloren haben. Na ja, dann muss die Gams wohl auch ein bisserl viel aufs Handy gestarrt haben, als das Schneebrett abging. Ja, ja, Tiermystiker werden erklären, die Schneebretter haben erst die verendeten Tiere ins Tal gerissen. Egal, gruselige Anblicke sind das und der lange Dodel hat sie alle noch fotografiert.
Wir zweigen nach links ab und steigen nun steiler an. Nach der Abzweigung beim G’hacktbrunn sehen wir zwei Bergsteiger, die sich da links vom Weg und einem langen Schneefeld abmühen. Hmm? Wollten die beiden die Querung des Schneefelds vermieden? Haben sie es gar schon versucht und sind gescheitert? Sie kommen jedenfalls nur langsam voran. Wir bleiben am Weg. Das ist in den Bergen stets der beste Ratschlag, und dem folgen wir auch. Recht rasch erreichen wir das Schneefeld, das sich über den Steig mit seinen Eisenversicherungen gelegt hat. Wir müssen es queren, weil sich rechts ein Fels in den Weg stellt und links das Geröll bzw. die Schrofen machbar erscheinen. Die Querung des Schneefelds erfordert Konzentration, ist aber auch ohne Steigeisen nicht sonderlich gefährlich.
Nach der Querung erreichen wir die beiden Tschechen, sie rasten aus und jausnen. Deutsch können sie nicht, aber alles okay. Wir steigen weiter und siehe da, sie brechen die Jause ab und folgen uns. Aber nur kurz! Während wir zum Ende des Schneefeldes steigen und dort auf die aus dem Schnee kommenden Versicherungen stoßen, bleiben die beiden beharrlich links. Und so reicht es mir, die beiden handeln sich bei aller Liebe zu Toleranz und Verständnis, dass jeder so gehen soll, wie er meint, einen Ordnungspfiff meinerseits ein. Zu offensichtlich ist, dass ihnen Bergerfahrung und zumindest dem zweiten Kondition fehlen. Einsichtig queren sie zum Steig. Wir verlieren sie rasch aus den Augen. Selbst als wir schon am Plateau ein ganzes Stück unterwegs sind, sehen wir von ihnen nichts. Gut, heute wird es lange hell sein, das Wetter ist stabil und die beiden sind jung.
Am Plateau pfeift es ganz schön und so stabil sieht das Wetter auch nicht aus. Wolken fetzen getrieben vom Südostwind über den Gipfel. Für den Hochschwab ist das wahrlich nicht ungewöhnlich. Wir inspizieren das Fleischer-Biwak und steigen zum Gipfel auf. Faszinierend ist hier die Wechte am Grat. Nicht nur, dass sie weit überhängt, ist sie schon vom Schmelzwasser ordentlich untergraben. Man könnte durchschlüpfen, nur ist dahinter nichts. Also, natürlich ist dahinter etwas, nämlich die fast senkrechte Südostwand. Ich lasse es mir nicht nehmen und schieße ein paar Fotos.
Am Schiestlhaus ist erwartungsgemäß fast nichts los. Ein Mann im T-Shirt der Bergrettung findet unsere Idee, über den Trawiessattel zurückzugehen, nicht so gut. Außer wir hätten „Eisen“ dabei. Nö, Mitte Juni haben wir am Hochschwab keine Eisen dabei. Wir einigen uns drauf, dass heute eh Flugwetter herrscht. Ich hoffe nur, dass der gute Mann, der da mit seiner Begleiterin an der Schank steht, und nach ein paar Bier und weißen Spritzern nun noch Schnapserln trinkt, nicht den Hubschrauber fliegen wird. Egal, wir werden ihn nicht brauchen. Kein bisschen macht sich Gefühl breit, dass wir uns bei diesen Bedingungen plötzlich in einer brenzligen Situation befinden werden. Das „kritische“ Schneefeld, das ich schon vom Gipfel aus gesehen habe, sieht steil aus, hat aber einen weiten Auslauf. Die Regel sagt: „Gegenhänge sehen immer steiler aus, als sie tatsächlich sind.“.
Alles kein Grund sich vom vorzüglichen Essen ablenken zu lassen. Das Essen hier ist nun wirklich eine Empfehlung. Gut, der Zustieg ist weit, aber dafür wird man hier mit liebevoll zubereiteten Gerichten verwöhnt, wie man sie ganz sicher nicht auf einer Berghütte erwarten würde. Der Koch ist einer der Patensöhne(?) des Hüttenpächters und aus Nepal. Er hat Freude am Kochen und das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Gut gestärkt beginnen wir den Abstieg Richtung Graf-Meran-Steig. Bald kommt das erste Schneefeld, das sich nicht umgehen lässt. Es ist steil, aber der Sommerfirn ist nicht so schlimm. Mit den Stöcken geht das. Es folgen flachere Schneefelder, die den Abstieg verkürzen. Erst am Graf-Meran-Steig, also seinem steilen Teil, wird es wieder ein bisserl spannender. Wir ziehen die Gamaschen an. Das Stück ist uns von den Skitouren bekannt und so können wir uns vorstellen, was uns erwartet. Wird steil, sollte aber gehen.
Am Ende dieses Abstiegs wartet dann ein Naturschauspiel der Sonderklasse: eine Herde von gezählten 30 Steinböcken lagert am Weg. Schon im Juli letzten Jahres habe ich Steinböcke im Rauchtal, auf der anderen Seite des Hochschwabs gesehen. Aber dieses Mal sind es viel mehr. Leider habe ich keine Kenntnis über die beeindruckenden Tiere außer, dass sie wenig scheu sind. Erst jetzt bei der Niederschrift lese ich, dass es sich wohl um Alpensteinböcke handelt. Da sie alle recht große Hörner hatten, vermute ich eine Junggesellenherde. Irgendwie passt die Beschreibung auf Wikipedia nicht ganz zu unserer Beobachtung. Einerseits bin ich nun sicher, dass das Männchen waren. Anderseits so viele? Wir staunen, fotografieren und filmen. Irgendwann stehe ich fast mitten in der Herde. Werden schon nicht über mich herfallen, wow!
Das Erlebnis ist so beeindruckend, dass wir fast mühelos wieder auf den Trawiessattel aufsteigen. Eigentlich hatte ich Sorge, dass uns der Gegenanstieg nerven würde, da wir ja schon genug in den Beinen hatten. Aber nichts und auch das „gefährliche“ Schneefeld war ohne Steigeisen gut begehbar. Also, Stöcke sind angenehm und empfehlenswert, und auf den Weg muss man natürlich auch schauen – watch your step!
Der restliche Teil unserer Tour, also nach den Steinböcken, ist eigentlich kaum noch erwähnenswert. Die Gamskitze, die wir sehen, sind natürlich schon jedes Jahr im Frühsommer ein freudiger Anblick. Aber Gämsen sind scheue Tiere und so sieht man sie meist nur aus der Ferne. Überrascht man sie mal, dann bekommt nur ihren Hintern aufs Foto, weil sie so schnell weg sind. Auch die Murmel geben Fersengeld und lassen sich aufgrund ihrer geringen Größe somit gar nicht recht fotografieren.
Wir steigen also vom G’hacktbrunn denselben Weg wie im Aufstieg wieder ab und sind nach acht Stunden Gehzeit wieder beim Bodenbauer. Seit 1. Juni gibt es hier neue Pächter. Die ebenso junge wie engagierte Kerstin erzählt uns, dass sie nun seit zwei Monaten hier hinten in dem Graben ist. Bergsteiger-Torte und Kaffee sind ein Genuss. Und Internet oder Handyempfang gibt es auch nicht. Wer also mal ausspannen will, kann das Alpenhotel Bodenbauer durchaus in Betracht ziehen. Zum Mittagessen dann aufs Schiestlhaus und der Tag ist gut gefüllt!