Endlich passen wieder einmal Wetter und sonstige Verpflichtungen für einen Ausflug in die Berge. Die Vorfreude ist groß und ich mache mich Richtung Rax auf den Weg. Erst dort möchte ich abhängig von den Schneefeldern entscheiden, wie meine Route genau aussieht.
Ich beginne mal mit dem Haidsteig. Den kenne ich, der taugt zum Aufwärmen. Unterhalb der Schwarzen Madonna schließe ich zu zwei Kletterern auf. Einer hat an der ungünstigsten Stelle seinen Fotoapparat liegen lassen. Da ist er froh, dass ich nachsteige, denn so erspart er sich die mühsame D-Stelle im Abstieg. Dass das feuchte Frühjahr die von den vielen Besteigungen speckigen Felsen rutschig gemacht hat, als wäre eine Riesenschnecke drüber marschiert, hätte das Unterfangen noch ein bisserl mühsamer gemacht.
Bei der Schwarzen Madonna frage ich die beiden, ob sie denn wüssten, wo der neue Einstieg zum Königschusswandsteig sei. Von hier sollte man diesen ja sehen. Beide sind älter als ich und kennen vermutlich das Gebiet gut. Tatsächlich gibt sich der Ältere der beiden ortskundig und überrascht mich mit einem: „Dort, wo der Schatten so einen Busen macht und wieder die Sonne beginnt, sieht man ein paar Versicherungen.“. Ich sehe die Stirn, die Nase und das Maul eines Gorillas. Aber einen Busen sehe ich nicht. Meine Antwort lässt die beiden schmunzeln: „Einen Busen sieht man da? Hmm, und ich dachte, das wird mit den Jahren besser.“. Wie auch immer, dort, wo der Busen in der Sonne blitzt, muss ich hin. Der Busen wird bei meiner Ankunft aber verschwunden sein, denn auch das Antlitz meines Gorillas ist schon recht verzerrt.
Nach 50 Minuten haben ich den Haidsteig durchstiegen. Sollte es je ein Haidsteig-Rennen geben, dann wäre ich in der Kategorie „Ü50 Breitenfurt Ostende“ sicherlich ganz vorne mit dabei. Aber so steige ich ganz ohne tosenden Applaus Richtung Holzknechtsteig ab.
Eigentlich habe ich mir schon ein paar Mal geschworen, nie wieder diesen überaus bescheidenen Steig zu begehen. Also, das hat der Planer in mir so entschieden. Der meist mächtigere Macher hat aber für heute eine gute Begründung, warum dieser Vorsatz nix wert ist. Ich muss nur 150 Höhenmeter absteigen, ehe es wieder bergauf geht. Also, Stock raus und am Stock runter. Sieht alt aus, geht aber gut und außerdem sieht es ja niemand.
Beim Einstieg zum Königschusswandsteig sehe ich doch jemand von unten heraufkommen und die Person ist schnell. Und da ist sie schon die Bergsteigerin. Man sieht ihr an, dass sie viel in den Bergen unterwegs ist. Für den Holzknechtsteig mag sie auch keinen lobenden Worte finden. Vermutlich bin ich wieder der Jüngere von uns beiden. Aber weil sie so schnell unterwegs ist, steige ich schon mal los.
Der Steig begrüßt mit einer steilen D-Wand. Aber hallo, damit habe ich nicht so gerechnet. Wenn ich alleine unterwegs bin, lese ich mir die Details zu den Steigen nicht so genau durch. Ich habe ja keine Sorge, dass ich das nicht schaffe und so kommt es, dass ich dann doch gelegentlich blöd schaue.
Außerdem war ich ja schon vor mehr als 15 Jahren mit Ulli hier. Damals war der Steig teils noch nicht versichert und ich hatte Ulli sogar angeseilt. Ein damals noch recht unerfahrener Geschäftsfreund war ebenfalls mit von der Partie. Er hat meine Bedenken damals abgeschmettert. Was soll den schon auf einem Klettersteig passieren? Da ist man ja eh ständig gesichert. Da habe ich ihm empfohlen, sich mal versuchsweise von seinem Schrank im Büro seitwärts mit der Hüfte voran auf die Schreibtischkante fallen zu lassen. Das entspricht einer geringen Sturzhöhe in einem Klettersteig. Das überlebt man sicherlich, aber der Fun-Faktor wird vermutlich in den negativen Bereich abdriften. Letztlich waren wir zu dritt unterwegs und haben es gut gemeistert. Über meine Leichtfüßigkeit damals kann ich heute nur den Kopf schütteln.
Nach einer leichteren Passage hänge ich schon wieder an einer D/E-Stelle. Ziemlich viel Last hängt an den Armen, und das obwohl die Beine die Arbeit verrichten sollten. Der Gedanke, dass mich meine Nachfolgerin gleich lächelnd einholen wird, entspannt den Macho in mir auch nicht gerade. So hänge ich also da und wundere mich über mich, den Steig und sonst einiges. Dann kommt noch Sorge dazu, dass ich da in dem Riss unter dem markanten Felsfenster mit meinem Rucksack stecken bleiben werde. Da wäre das Bild der totalen Niederlage perfekt. Aber ein bisserl „Schieb‘, schieb‘ und stopf‘, stopf‘!“ und ich bin recht unelegant aber doch durch. Der Rest des Steiges ist fast unspannend und ich lege mich am Plateau in die Sonne.
So liege ich da einige Zeit, ehe mich ein schlechtes Gewissen aus meinen Tagträumen reißt. Ja, wo ist denn die flotte Bergsteigerin? Während ich da in der warmen Sonne döse, spielt sich unter mir ein Drama ab. Lächerliche Gedanken, denn schon beim Ende der Versicherungen angekommen höre ich das Geklackere des Steigsets. Sie hat noch zwischendurch ein paar Fotos geschossen. Ah, eh ah!
Weiter geht es für mich nun zum Predigtstuhl. Ich will noch ein paar Höhenmeter sammeln und mir so das Essen verdienen. Aus der Ferne habe ich schon gesehen, dass mich da ein paar Schneefelder erwarten. Schneefelder im Juni klingen harmlos, werden aber meist unterschätzt. Immerhin haben Winter, Frühjahr und jetzt hohe Temperaturen und Regen den Schnee sehr kompakt werden lassen. Wer da ausrutscht, hat nur ein ganz kurzes Zeitfenster, um sich zu fangen. Dann geht es rapide abwärts bis zum Ende des Schneefeldes, wo das Anhalten in der Regel recht abrupt ist oder bodenlos verzögert wird. Ich aber habe meinen Behelfspickel mit. Das ist ein Hybrid aus Skitourenstock und Eispickel. Die Haue reicht als rettender Anker auf so einem Schneefeld, im Eis wäre das Gerät sicherlich zu schwach.
Nach dem Predigtstuhl steige ich über den Waxriegelsteig ab, und hier kommt es zu einer Erscheinung. Kommt mir doch einer mit geschulterten Skiern entgegen. Hinten nach wandert seine Frau. Er selbst erinnert mich an Onkel Rudi, dessen Frisur oft ähnlich wild waren wie seine Gedanken. So steht der ältere Bergfex vor mir und meint als Reaktion auf meine entgeisterten Blicke, dass man die Skier natürlich auch am Rucksack festmachen könne, aber ob sich das auszahle. Ich staune nur, und schon kommen noch mehr Details. Er sei schon vor Jahren (oder eher Jahrzehnten) den Langen Mann (Langermanngraben) mal am 31. Mai abgefahren. Der 3. Juni wird also Rekord sein. Da blitzen seine Augen und lassen vermuten, wie er sich freut, diesen Rekord heute doch noch brechen zu können. Ich ersuche noch um Erlaubnis für ein Foto. Aber klar doch, gerne!
Weiter geht es bei sommerlichen Temperaturen zum Waxriegelhaus, wo ich mir Suppe, Burger und Kuchen & Kaffee gönne, ehe ich nach Griesleiten abrausche. Was für ein Einstieg in die Wandersaison!
Gar nicht so schlecht diese Seite