In zwei Etappen besteigen wir auf einer abwechslungsreichen Tour von Vent aus die Wildspitze. Ich war schon mal vor mindestens 35 Jahren mit meinem Vater hier. So ist es ein ganz besonderes Gefühl.
Die Tour ist abwechslungsreich, einerseits lang und anderseits kurzweilig. Beste Tour bislang jedenfalls!
Unsere Abfahrt am Mittwoch steht unter gar keinem guten Stern: dem rechten Vorderreifen fehlt die Luft. Die „Experten“ sind unterschiedlicher Meinung. Während der eine Angst vor einem Knall beim Aufpumpen hat, meint der andere: „Is‘ eh no a Luft drinnen. Das geht schon.“. Es muss gehen, denn Gernot ist mit der Vespa da. Mit dem Polo wollen wir auch nicht aufbrechen, also Lenkrad festhalten.
Nach einer erträglichen Fahrt sind wir um kurz nach halbvier in Vent. Wir packen und schultern die für uns außergewöhnlich schweren Rucksäcke. Ich habe nur das 30m-Seil eingepackt und auch sonst nur wenig mit. Trotzdem ist der Rucksack mit der Gletscherausrüstung deutlich schwerer.
Wir entscheiden uns gegen den verlockenden Sessellift. Gernot meint, dass so ein bisserl Bergsteigen nach dem langen Sitzen nicht schlecht ist. Der Anstieg zur Breslauer Hütte ist unspektakulär. Der zweite Lift wird gerade saniert und so begleitet uns gar Baulärm! Nach gut zwei Stunden sind wir dann auf der Breslauer Hütte und sitzen auch bald beim Abendessen. Der Rotwein schlägt auf 2.844m zu, bleierne Müdigkeit legt sich über uns. Schon vor neun sind wir in unserem Zimmerlager. Ich verkünde noch, dass die Prognose für morgen völlig problemfrei ist, aber da höre ich schon regelmäßige Atmung von neben und von ober mir.
Für die Gipfelstürmer der Wildspitze ist das Frühstück für 5 Uhr bis 5 Uhr 30 angesetzt. Upps – das ist früh! Ja, die Bergführer empfehlen das und der Hüttenwirt hält sich daran. Ungewöhnlich früh ist der Wecker gestellt. Aber die anderen Bergsteiger machen eh so einen Lärm, dass an ein Weiterschlafen nicht zu denken gewesen wäre. Gernot, unsere Espresso-Diva, hat auch hier wieder Sonderbehandlung durchgesetzt und bringt sich mit einem doppelten Espresso in Schwung, während der normale Gast Filterkaffee schlürft.
Noch scheint die Sonne nicht über die gegenüberliegenden Berge und so marschieren wir bei angenehm kühler Morgenluft ins Mitterkar. Es zieht sich ein bisserl, bis der Mitterkarferner erreicht ist bzw. der mickrige Rest, den die Klimaerwärmung übrig gelassen hat. Das Blankeis lässt sich umgehen und wir gelangen ohne Steigeisen bis zum steilen Firnfeld, das ins Mitterkarjoch hochführt. Der Schnee sieht super aus, ich starte den Versuch ohne Steigeisen. Über den Pickel bin ich froh und gebe rasch Zeichen, dass Ulli und Gernot ohne Steigeisen folgen sollen. Andere Gruppen entscheiden sich anders, müssen dann aber am Klettersteig entweder mit Steigeisen weiter oder diese ablegen. Beim Klettersteig ist der Schnee geschätzte knappe 45 Grad steil mit Tendenz steiler werdend. Man könnte weitersteigen, aber wir wählen den Klettersteig – wie auch alle anderen Bergsteiger an diesem Tag.
Bei meiner ersten Besteigung in den frühen 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es keinen Klettersteig. Der war auch nicht notwendig. Das Schneefeld war viel mächtiger und ist an seinem unteren Ende in den damals noch raumgreifenden Mitterkarferner übergegangen. Heute war das Schneeband, das einen durchgehenden Aufstieg im Schnee erlaubt hätte, oberhalb des Einstiegs zum Klettersteig an seiner engsten Stelle weniger als einen Meter breit.
Der Klettersteig ist kurz (80-100Hm) und nicht sonderlich schwer (B/C). Sicher ist er eine tolle Abwechslung und Bereicherung dieser Aufstiegsvariante. Der Fels ist von den Steigeisenzacken zerkratzt. Na, ob das ein Genuss ist?
Am Mitterkarjoch machen wir uns dann für den Gletscher bereit. Das 30m-Seil ist zu kurz für eine Gletscherbegehung, wenn man auf eine Selbstbergung angewiesen ist. Auch wenn an diesem Donnerstag hier wenig los ist, so sind doch einige Seilschaften unterwegs, die einen eingebrochenen Bergsteiger rasch herausziehen würden. Die Spalten selbst sind noch gut mit Schnee bedeckt. Wir stapfen los, zuerst leicht bergab, dann flach, dann wieder steiler werdend. Ehe wir noch richtig ins Schnaufen kommen, sind wir auch schon unterhalb des Gipfelaufbaus. Wieder befreien wir uns von den Steigeisen, während einige in Steigeisen weitersteigen. Die Wildspitze hat sich in eine Felspyramide gewandelt. War sie noch bei meiner Erstbesteigung ein mit Schnee und mächtigen Wechten bedeckter Gipfel, so ist sie nun eine leichte Felskraxelei. Auch der Grat zum Nordgipfel ist nur noch kärglich mit Schnee bedeckt.
Nach knapp vier Stunden stehen wir am Gipfel, die Wolken reißen auf und bis auf eine weitere Seilschaft sind wir dann alleine am „Dach Tirols“. Es ist ein tolles Gefühl, wie reibungslos all das geklappt hat. Wir fotografieren, naschen Mannerschnitten und genießen den Ausblick. Wieder kein Wind, wieder ideales Jausenwetter!
Ein Bergführer führt seine Gruppe über den Gipfelgrat Richtung Rofenferner. Ich befrage ihn und er gibt zuvorkommend Auskunft und zeigt mir den Weg über diese Variante zur Breslauer Hütte. Das wäre eine tolle Runde, ich überlege. Wir entscheiden uns dann doch wieder für den Abstieg entlang der Aufstiegsroute, denn wir wollen es ja nicht übertreiben.
Der Abstieg erfolgt ähnlich problemlos wie der Aufstieg. Bald sind wir beim Mitterkarjoch und steigen in den Klettersteig ein. Alles ohne Stress. Das Firnfeld meistern wir diesmal mit Steigeisen, wenngleich es sicherlich auch ohne machbar gewesen wäre. Einzig der Auslauf des Firnfelds ist ein mit Felsen übersätes Eisfeld, was abschreckend wirkt. So fühlen wir uns mit den 12 Zacken sicherer.
Statt über die blanken Überreste des Mitterkarferners steigen wir über die Moräne ab. Das nächste Mal nehme ich das Eis, wenn noch eines da ist. Das erscheint mir im Nachhinein angenehmer. Mit dem Ende des Mitterkarferners ist auch die Euphorie weg, aber der Rückweg bleibt. Das ist ein Nachteil, wenn man Aufstieg und Abstieg gleich wählt. Was in der Früh noch selbstverständlich und in Vorfreude war, wandelt sich schnell in ein „Was noch immer keine Hütte?“. Aber alles geht am Berg zu Ende und so sitzen wir nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit bei Suppe, Schnitzel und Kaiserschmarren wieder in der Hütte. Nur Ulli wirkt noch von ihrer Erkrankung angeschlagen.
Aufbruch! Ich laufe vor, und tänzle zum Gaudium der Sesselliftgäste den Steig Richtung Vent hinunter. So brauche ich von der Breslauer Hütte nach Vent nicht einmal eine Stunde.
Wir sind schon um halbvier wieder beim Auto. Diesmal wollen wir nicht wie vor zwei Wochen den Fehler machen und direkt nach Hause fahren. Wir suchen ein Hotel am Achensee aus, wo wir uns in der Pizzeria nochmals richtig vollstopfen. Das Hotel Arthurs hat vor einem Monat eröffnet. Personal und Einrichtung sind top. Einzig die Lage könnte viel besser sein. In den riesigen Betten schlafen wir jedenfalls wunderbar. Am nächsten Tag tauchen wir noch in den Achensee und dann noch in den Attersee. Ein Freitag in der Ferienzeit bedeutet aber leider auch Staus. Waze, Google Maps, Blitzwarner, et al. navigieren uns gut. Die Q verwandelt sich in eine Schaltzentrale gefüllt mit Warntönen und von Computerstimmen gesprochenen Routenvorschlägen. Aber trotzdem verplempern wir fast einen ganzen Tag mit der Heimfahrt. Da müssen neue Ideen her.
Bis auf die lange Heimfahrt war es mit Abstand die beste Tour seit Langem. Sicher ist, wir machen uns bald wieder auf den Weg!!!
Das war sicher die schönste Tour meines Lebens – sehr abwechslungsreich und spannend – ein echt tolles Erlebnis, woran ich mich immer gerne zurück erinnern werde.
Und ja, wir 3 waren sehr tapfer 💪💪💪