29. Skitour: Lucknerhaus – Böses Weibele (3.119m)

Zum Ende meiner Skitourensaison geht es nach Kals am Großglockner. Vom Lucknerhaus steigen wir aufs Böse Weibele.

Der Sommer hat den Winter abgelöst. Frühling war gestern. Seit fast zwei Wochen hat es bei uns Temperaturen um die 28 Grad. Gernot und ich machen uns auf den Weg nach Kals, auch wenn die Wetter-Apps verschiedene Prognosen haben. Fix scheint, dass sich eine zweite Tour am Donnerstag nicht ausgehen wird.

Winterraum und Hüttenlager sind nicht so Gernots Ding und auch ich habe lieber fließendes Warmwasser. Deswegen suchen wir das Lucknerhaus bei Kals am Großglockner aus, wo wir freundlich empfangen und gut bewirtet wird. Leider soll sich herausstellen, dass die Wirtsleute wenig Ahnung von ihrer Umgebung haben. Vielleicht ist es auch schlauer, zurückkehrende Tourengeher zu fragen. Diese wissen wohl besser, wie es aussieht als der Wirt, der gehört hat, dass.. Na ja, laut Wirt sollte es bis auf zwei Stellen, an denen man aber nicht mal abschnallen muss, ausreichend Schnee geben. Bei der abendlichen Besichtigung kommen da schon mal schwere Zweifel auf.

Surreal ist noch meine Begegnung in der Nacht. Kurz vor Mitternacht wecken mich nicht zuordenbare Geräusche. Ich habe Sorge, dass es regnet oder taut. Nein, meine Zimmernachbarn haben ihr Frühstück in einer Box vor dem Fenster gelagert und ein frecher Fuchs versucht, die Dose zu öffnen. So steht er am Dach mit dem Großglockner im Hintergrund und macht sich am Verschluss zu schaffen. Ich habe Sorge um unser Frühstück, das zwar im Zimmer steht, aber bei offenem Fenster den hungrigen Fuchs vielleicht auch verlockt. Wir schauen uns tief in die Augen, bis sich der Fuchs entschließt am Morgen nochmals zu kommen. Da werde ich tief schlafen und Gernot wird sich wundern, wer da schon Skier anschnallt.

Um fünf läutet der Wecker, wir frühstücken und um 05:50 verlassen wir das Lucknerhaus. Schon am Weg zur Nigglalm bestätigt sich die Vermutung, dass die Sonne den meisten Schnee weggefressen hat. Wir schnallen immer wieder ab, queren Lawinenkegel, die sich durch ihr Schrumpfen mit mitgenommenen Gras und Erdreich einhüllen, was das seltsame Phänomen hervorbringt, dass der Schnee unter der Wiese ist 😉

Nun folgt eine Steilstufe, die bei den Verhältnissen machbar, aber bei der Abfahrt mühsam werden könnte. Danach queren wir steile Südhänge. Die Sorge, dass am Nachmittag Gleitschneelawinen abgehen könnten, ist auch unbegründet, weil wir auch hier zum Teil eine schneefreie Frühjahrswanderung absolvieren. Da kann von oben nichts mehr kommen, weil alles längst unten oder bereits weggetaut ist.

Dann endlich ab etwa 2.400m Seehöhe ist die Schneedecke geschlossen. Die Harscheisen verrichten gute Dienste. Auch wenn der Schnee hart ist, reichen T-Shirts.

Unter dem Peischlachtörl überholen uns zwei Skitourenläufer aus Südtirol. Sie nehmen dann im Anstieg noch die Gridenkarköpfe mit und werden trotzdem vor uns am Gipfel sein. Na zack!

Wir steigen langsam aber stetig am zugefrorenen Kesselkeessee vorbei und gewinnen so auch an Höhe. Das T-Shirt-Klima geht zu Ende, wir überschreiten die 2.900m und müssen steil und ausgesetzt queren. Nein, Spaß ist das keiner. Da bin ich nun zu wenig Bergmensch, als dass mich das nicht stören würde. Aber alles geht vorbei und der mittlerweile gar weiche NO-Gipfelhang will in ein paar Spitzkehren durchstiegen werden. Wir schnaufen und schwitzen. Die Wechte am Grat wehrt sich und wirft mich zurück. Der Schnee ist weich und ich fange mich schnell. So die Bindung wird fixiert, im Treppenschritt kann sie mir nichts anhaben. Weiter unten kommt Gernot nach, während ich schon den Grat zuerst mit Skiern und dann zu Fuß gehe.

Hier kommt nun ein seltener Moment. Ich habe die Stöcke beim Skidepot gelassen und ohne Stöcke will ich den Grat nicht zum Gipfelkreuz gehen. Ich denke mir, dass es ja nicht sein muss, weil ich ja eh schon so hoch wie das Kreuz bin. Gernot bringt die Stöcke nach und hat auch keine Ambitionen, da hinüber zu balancieren. Der Schnee ist auf der Westseite sicherlich fest gefroren und auf der Ostseite butterweich. Oder kurz, ich werde alt, falsch vernünftig, oder.. – hmm?

Egal, wir fotografieren. Wir haben unseren ersten echten Dreitausender mit Tourenskiern bestiegen. Großglockner, Hochschober und endlos weitere Dreitausender liegen in der Aprilsonne. Pause mit Jause wollen wir trotzdem erst weiter unten machen. Wir machen uns fertig und treffen beim Skidepot zwei Tourengeher, die wir schon am Lucknerhaus gesehen haben, aber nun doch den Gipfel von der anderen Seite angegangen sind. Sie beklagen, dass ihnen jemand die Wurst und den Käse aus den Broten geklaut hat – so klein ist die Welt hier heroben.

Auf „ihrer“ westseitigen Aufstiegsroute ist  der Schnee noch hart und so entscheiden wir uns spontan zur Abfahrt auf der „ihrer“ Seite. Irgendwo zwischen 2.800 und 2.700 gibt es dann die verdiente Pause.  Das Böse Weibele schaut auf uns herunter. Ich sehe das Gipfelkreuz und denke mir, was man für einen tollen Ausblick von da oben haben müsste. Das erste Mal nerve ich mich, dass ich nicht vorne war. Das Gefühl wird noch öfter kommen. Mist, das nächste Mal gehe ich in so einer Situation wieder vor.

Der Großglockner hüllt sich in Nebel und plötzlich sind auch Wolken um unseren Gipfel. All dies aber nur kurz.

Die Abfahrt Richtung Peischlachtörl und am Peischlachbach geht schnell vorbei. Das Queren der Südhänge ist ein oftmaliges An- und Abschnallen. Es wird heiß und mühsam. Der steile Wald ist zum Glück nicht in so üblem Zustand, wie von mir befürchtet, weil um diese Zeit die Sonne nur ganz flach in den SW-Hang scheint. Gernot versucht zu schwingen und scheitert. Kopfüber stürzt er sich den gut 40° steilen Hang hinunter und hat keine Chance, zu seinem abgeschnallten Ski wieder raufzukommen. Auch ich schwitze beim Bergen des Skis.

Wir queren die letzten Lawinenkegel, bewundern bei der Nigglalm die blühenden Blumerln und sind bald wieder beim Lucknerhaus, wo die Bezwinger des Großglockners eintreffen. Die hatten mehr Glück, da sie bis zum Lucknerhaus abfahren konnten, aber bei weitem nicht die Einsamkeit wie am Bösen Weibele.

Ein bunter Haufen muss da am Großglockner unterwegs sein. Ein Liechtensteiner ohne Schuhe fragt uns nach unserer Tour. Wir berichten und ich frage, warum sie denn nicht in die Schweiz fahren, um Skitouren zu machen. Gernot wird präziser und verscherzt es sich mit der Frage, ob es in Liechtenstein denn einen Berg gibt. Ich sehe den erhobenen Liechtensteiner Finger und verkneife mir meinen Beitrag, dass Liechtenstein keine Fußballmannschaft hat, weil es dort keine ausreichend große ebene Fläche für einen Fußballplatz gibt. Plötzlich tauchen die Kollegen des Fürstentumers auf. Sie sind alle bloßfüßig! Haben die keine Schuhe in diesem kleinen Land? Der Boden ist ja kalt hier heroben. Ich schließe Frieden mit mir und meiner Neugierde, indem ich mir einrede, dass da eben eine Selbsthilfegruppe „Schweißfuß“ unterwegs war – seltsames Völkchen!

Für uns war es eine tolle Tour und ein würdiger Abschluss dieses schneereichen Winters. Bei nächster Gelegenheit steigen wir noch die Rodel auf der Veitsch hinauf und holen meinen Ski, der seit dem Schneebrett am 15.1. noch immer ausharren muss. Er liegt aber in einem Graben und so könnte er noch unter Schnee liegen – wir werden sehen!

Details auf Garmin
Lawinenlagebericht

2 Kommentare

  1. Wie schon Bertold Brecht sagte: Kein Vormarsch ist so schwer, wie der zurück zur Vernunft.
    Darum gut, dass wir den Grat nicht nach vorne zum Kreuz gegangen sind 😉

    1. Wenn man sich von der Vernunft lange genug leiten lässt, kommt man zu ganz unvernünftigen Schlussfolgerungen. (Samuel Butler)

      ..wie zum Beispiel, dass man dort gar nicht raufsteigen müsste 😉

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