Details der Tour via Garmin
Lawinenlagebericht
Auf 1.700m hat mich völlig unerwartet ein Schneebrett mitgenommen. Glück im Unglück gehabt!
Dort, wo die Sonne scheint, ist wenig Schnee und dort, wo der Schnee ist, wird wenig Sonne sein. Mittendrin ist da die Tour auf die Hohe Veitsch von der Nordseite aus. Im Wald ist auch wirklich extra wenig Schnee. Aber je weiter ich die steile Rodel steige, umso mehr wird der Schnee. Von Sonnenschein war nur kurz etwas zu sehen, dafür schneit es. Die frischen Spuren von mindestens zwei Tourengeher machen mir es leichter. Die Rodel ist kein gemütliches Dahinwandern, da geht es einigermaßen bergauf. Die Unterbrecherstelle sieht bei den winterlichen Bedingungen – frischer Schnee, wenig Sicht – beeindruckend aus. Ich leg‘ die Steigeisen an, um den steilen Hang bis zum Beginn der Seile und der Eisenleiter zu überwinden. Gut ausgerüstet mit Pickel und den Steigeisen geht es über eine Mischung aus Steinen, Grasbüschel und Eis nach oben. Die Unterbrecherstelle ist rasch erledigt und ich steige wieder auf die Schier um.
Da sieht eigentlich alles harmlos aus. Nur die Spur führt nicht wie das letzte Mal direkt über die nächste Steilstufe sondern umgeht sie östlich in sieben Kehren. Ich folge brav und denk‘ mir nichts. Der Lawinenlagebericht gibt für oberhalb der Waldgrenze Stufe 2, also mäßige Gefahr, an.
Unter Gefahrenbeurteilung heißt es:
„In den Nordalpen Mitte und in den östlichen Nordalpen wird die Lawinengefahr oberhalb der Baumgrenze mit mäßig beurteilt. Der Wind hat die geringmächtige Neuschneeauflage in die Nordexpositionen verfrachtet. Die Gefahrenstellen sind mehr geworden und befinden sich kammnahen Gelände sowie in Rinnen und Mulden der Schattseiten. Eine Schneebrettauslösung kann bei großer Zusatzbelastung erfolgen.„.
Genau an so einer Stelle bin ich. Aber Schnee ist nicht viel und alleine bin ich im Aufstieg definitiv keine große Zusatzbelastung. Oft schauen durch den Harsch gar die Grasbüscheln heraus. Dass auf dem Harsch der lockere Neuschnee nicht halten kann, ist offensichtlich. Aber es ist ja nur wenig Schnee. Nach der siebten und letzten Kehre knallt es plötzlich dumpf, und ich denk‘ mir, da ist jetzt irgendwo etwas abgegangen und bin überrascht. Und siehe da, um mich tut sich der Schnee auf. Die Bilder erinnern mich an YouTube-Videos zu Lawinen und Schneebrettern und schon fahre ich ab. Ich denke mir noch „Na geh, scheiße!“. Die Fahrt fühlt sich nicht unangenehm an und ich empfinde keine sonderliche Gefahr. Ich meine, gemütlich zu sitzen. Mit einem Klack spüre ich, wie sich ein Schi löst. Schon wieder im Graben unten, kommt kurz Bewusstsein für die Gefahr auf. Ich habe plötzlich Angst, dass mich Schneemassen von hinten noch überrollen könnten. Ich versuche, die Stöcke loszuwerden, was aber hoffnungslos misslingt. Der nächste Gedanke ist, dass als nächstes die Unterbrecherstelle mit ihrem Felsabbruch bald kommt. (Anmerkung: Die war aber noch geschätzte zweihundert Meter oder mehr entfernt.) Ich beschließe also, die Fahrt zu beenden und beginne mit dem skilosen Bein zu bremsen. Und siehe da, wir halten an. Natürlich hatte das Bremsen nicht den geringsten Einfluss. Nur, was ich mir da gedacht habe, irritiert mich jetzt schon noch!
Bis fast zur Hüfte stecke ich im Schnee. Nach Lehrbuch oder in einer mächtigeren Lawine sollte ich nun Mühe haben, mich selbst auszugraben. Dem ist aber nicht so. Der Schnee ist leicht und ich kann sogar den verbliebenen Ski angeschnallt herausziehen. Langsam krieg‘ ich mit, was passiert ist und dass das bei allem Pech mit extrem viel Glück gut ausgegangen ist. Etwas verwirrt mache ich mich auf die hoffnungslose Suche nach dem zweiten Ski. Ob es schlau ist, hier rumzustapfen? Dass zweimal etwas runterkommt, ist schon recht unwahrscheinlich. Ich suche also, aber finde nicht.
Wichtig ist, dass man nach Auslösung eines Schneebretts die Bergrettung verständigt. Falls jemand das Schneebrett beobachtet hat oder später an der Unfallstelle vorbeikommt und die Bergrettung verständigt, muss diese ausrücken und den Lawinenkegel absuchen. Ich hab‘ sogar Empfang und wähle 140. Das geht aber nicht, weil ich nicht bei meinem Provider „3“ registriert bin sondern vermutlich bei A1. Also, wähle ich 112, das geht aber auch nicht – verstörend! Zum Glück bin ich up and running!
Ich versuche mich, weiter zu sammeln. Offensichtlich bin ich doch verwirrt, denn auf ein Foto mit dem gesamten Hang vergesse ich. Wie auch immer, mir tut nichts weh, ich steige ab. Bei der Unterbrecherstelle treffe ich oberhalb der Leiter zwei nachfolgende Tourengeher. Da hätte ich also nochmal Glück gehabt, wenn ich nicht selbst rausgekommen wäre.
Mit Steigeisen, Pickel und nur noch einem Schi am Rücken klettere ich die Unterbrecherstelle ab. Nach der steilen Passage versuche ich es nochmals mit der 112. Diesmal erfolgreich. Der Polizist nimmt meine Daten auf und sagt, dass ich mich nicht von der Stelle bewegen soll. Also, wie jetzt? Ich bin ja schon abgestiegen und nochmal rauf will ich sicher nicht! Nein, ich soll stehenbleiben, weil ich sonst wieder den Empfang verlieren würde. Das Argument hat etwas. Ein Alpinpolizist wird sich melden. Das passiert auch gleich danach. Er erreicht mich unter der 3-Nummer und ich weiß wieder nicht, ob ich 112 außerhalb des 3-Netzes wählen kann. Man ruft nicht so einfach den Notruf, nur um zu testen, ob das eh geht.
Wie auch immer, der Alpinpolizist erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden. Man merkt, dass er vermutlich mit Anrufern in Bergnot schon einiges erlebt hat. Es werden schon einige im Schock mit gröberen Verletzungen versichern, dass ihnen nichts fehlt. Auch ich versichere, dass mir nichts fehlt – außer ein Ski! Wie soll er das nur unterscheiden? Sein Frage nach Sicht und Nebel, lässt mich vermuten, dass er den Hubschrauber überlegt. Aber das wäre totaler Overkill. Ich habe die Kletterstelle sicher gemeistert, die beiden getroffenen Tourengeher hatten keine Sorge wegen meines Zustandes, und gut ausgerüstet bin ich auch. Der Harschdeckel trägt und ich rechne mit einem einstündigen Abstieg. Auf das Angebot, dass mir jemand entgegenkommt, würde ich im Notfall gerne zurückgreifen. Ich sage zu, dass ich mich beim Auto wieder melde. Auch Ulli rufe ich an und jag‘ ihr, die sie selbst schon weniger glücklich in einem Schneebrett war, einen Schreck‘ ein und beginne mit dem problemlosen Abstieg.
Am Abend telefoniere ich nochmals mit dem Herrn von der Alpinpolizei. Er war oben und hat sich das Schneebrett angeschaut – wow! Er bezeichnet die Sache als „interessant“. Der Südwind vom Wochenende hat den Schnee offensichtlich an diese ungewöhnliche Stelle verfrachtet. Noch ein paar weitere Daten für die Statistik gebe ich her, um demnächst vielleicht als Ereignis beim Lawinenwarndienst der Steiermark aufzuscheinen.
Resümee und Gelerntes
Es gehört schon ein Pech dazu, bei diesen Bedingungen in ein Schneebrett zu kommen, aber ausschließen kann man so etwas eben nie. Letztlich war es diesen Bedingungen zu verdanken, dass ich nur zum Teil verschüttet wurde. Es war eben nicht so viel Schnee vorhanden.
Natürlich hatte ich Riesenglück! Kein Fels, der sich mir in den Weg gestellt hat. Nichts hat mich oder eine meine Gliedmaßen verdreht. Lediglich die Rippen tun ein bisserl weh. Es scheint also doch nicht ein so komfortables Abrutschen gewesen zu sein.
Das Lawinenpiepserl muss bedingungslos eingeschaltet werden. Bei vielen Touren ruhte es bislang im Rucksack oder daheim. Gestern war es selbst beim Abstieg durch den Wald eingeschaltet. Dies schmunzelnd mit dem Gedanken: „Wäre schon ein extra Pech, wenn es mich hier und heute gleich zweimal erwischt.“. Also, Piepserl spätestens beim Losgehen einschalten und erst bei Tourende wieder ausschalten!
Wie in allen anderen Belangen gilt: Sorgfältige Vorbereitung und gute Ausrüstung sind notwendig aber nicht hinreichend. Letztlich entscheidet der Zufall.
Erstaunlich, wie wenig das bzw. zumindest mein Hirn mit der Situation zurecht kommt. Was da passiert ist, war mir während des Ereignisses nicht bewusst!
Noch ein paar Zahlen und Fakten
Auf rund 1.700m Höhe hat mich das Schneebrett mitgerissen.
Garmin nennt als Maximalgeschwindigkeit 28,5 km/h. Das war zum Glück nicht sehr schnell. Die Auswertung der Datei durch die Alpinpolizei ergab 34,6 km/h. Das klingt nicht viel schneller, ist es aber!
Der Schrecken hat den Puls ganz schnell auf 172 bpm getrieben. Das schaffe ich normal nicht! Auch eine Methode, den Maximalpuls festzustellen. 😉
Die Lawinenwarnstufe war im Wald 1 und oberhalb der Waldgrenze 2. Das sind generell günstige Tourenbedingungen. Die Statistik sagt, dass es selbst bei Stufe 1 Verschüttete und gar Tote gibt!
Die Alpinpolizei hat ein Schneeprofil angefertigt. Jetzt werde ich mich endlich mal im Lesen von Schneeprofilen schlau machen!
Medienecho
ORF Steiermark: Entspricht den Tatsachen. Einzig, mit Steigeisen ist nicht gut abfahren 😉
NÖN: Hier wurde ich in Niederalpl ärztlich versorgt. Das habe ich nicht mitbekommen.
Kleine Zeitung: Kostenpflichtig, aber schon am Anfang steht, dass ich mich vorbildlich verhalten habe – jippieh! Mal im Ernst! Stellt euch vor, jemand löst ein Schneebrett aus, denkt sich: „Nix passiert“ und fährt Heim. Andere Tourengeher beobachten den Abgang oder kommen später am Lawinenkegel vorbei und verständigen die Alpinpolizei oder Bergrettung. Dann müssen Leute los und den Lawinenkegel mit ihren Sonden absuchen, während der Auslöser schon daheim bei einem Glas Wein sitzt. Brr, da wird’s mir kalt!